Nagelsmann-Entlassung: Ausverkauf sportlicher Ideale beim FC Bayern

30.03.2023

Alle sportlichen Spitzenleistungen haben eines gemeinsam: Sie wurden von Sportlern und deren Trainern entwickelt. Entwicklungen kosten Zeit, erfordern Geduld, aber auch Vertrauen und Zuversicht. Nicht so beim FC Bayern, befindet Torgranate-Kolumnist Harald Lange.

Trainer und Sportler schaffen sich ihr Umfeld, gehen aufeinander zu, verstehen sich von Trainingstag zu Trainingstag immer besser und entwickeln in dieser Weise eine Atmosphäre, in der Spitzenleistungen und letztlich auch Erfolge entstehen. In der Kombination dieser „Zutaten“ reifen Sportler, aber auch Trainer und ganze Mannschaften. Deshalb schätzen wir solche Prozesse und jubeln denjenigen, die am Ende vorne stehen und die Titel gewinnen, gerne und respektvoll zu.

FC Bayern: Nagelsmann-Entlassung ein Bärendienst für die Bundesliga

Ein so verstandener Sport ist auch im ideellen Sinne wertvoll. Wir wissen, wie anstrengend es zuweilen ist, persönliche Entwicklungen und Mannschaftsleistungen systematisch voranzubringen. Auf dem Weg dorthin sammeln alle Beteiligten wertvolle Erfahrungen. Lernen aus Niederlagen und berauschen sich am selbst entwickelten Erfolg. Auch deshalb macht es Sinn, Kinder zum Sport zu schicken, damit sie an sich arbeiten, mit anderen fair umgehen lernen und erkennen, wie man die Prozesse und Entwicklungen im Sport oder innerhalb der eigenen Mannschaft beeinflusst und voranbringt.

Bayern München macht es anders. Zumindest aktuell in ihrer Profi-Mannschaft. Die mit viel Geld auf den Weg gebrachte Entwicklung des einst vom härtesten Konkurrenten weg gekauften Trainers Julian Nagelsmann und dessen neu formierter Bayern-Elf wird eilig beendet. Nur, weil im aktuellen Zeitfenster ein neuer Trainer verfügbar ist, den man – warum auch immer – besser findet. Der neue Spielführer der Nationalmannschaft Joshua Kimmich charakterisiert diesen Trainerwechsel mit der Metapher „wenig Liebe, wenig Herz“. Er hat recht. Mit dieser Aktion leisten die verantwortlichen Fußballmanager dem Bundesligafußball einen Bärendienst. Die ideelle Basis dieses Sports wird erneut massiv beschädigt und selbst Bayernfans sind entsetzt darüber, wie die Clubführung die vielen Millionen für solche „Hauruck-Aktionen“ einsetzt.

Sportliche Erklärungen gibt es für diesen Vorgang nicht. Die Süddeutsche Zeitung titelte zwar unmittelbar nach dem Nagelsmann-Rauswurf, der Trainer habe „die Kabine verloren“ (…), aber dieser flache Spruch wurde bereits Stunden später von den Führungsspielern des Klubs (Kimmich, Goretzka) durch beeindruckende Danksagungen gegenüber ihrem alten Trainer abgeräumt. 

Harald Lange: Sportdirektor Hasan Salihamidžić ist ratlos

Das Verhältnis war OK und auch der Weg zum Triple war geebnet. Am kommenden Samstag wäre im direkten Vergleich mit Dortmund die Bundesligaführung drin gewesen und sowohl im DFB-Pokal, als auch in der Champions League stehen die Bayern nach beeindruckend starken Auftritten im Viertelfinale. Der verantwortliche Sportdirektor Hasan Salihamidžić meint aber dennoch, irgendetwas in der „Konstellation“ würde nicht stimmen. So genau weiß er es aber auch nicht, auf den Punkt zu bringen.

Mit dieser Ratlosigkeit ist er nicht allein. Der Kicker hat eine Blitzumfrage zur Nagelsmann-Entlassung gestartet und mit der schlichten Frage, ob die Trennung vom Bayern-Trainer die richtige Entscheidung war, mehr als eine halbe Million Teilnehmer erreicht. Zwei Drittel sagen „Nein“ und ein Drittel sagt „Ja“. Ich sage: „Na und?“. Ursachenforschung macht in dieser Frage keinen Sinn. Dem Bayern-Vorstand fehlte lediglich Sportsgeist und die Bereitschaft, eine einst eingegangene Bindung und vertrauensvolle Zusammenarbeit weiterzuführen. Außerdem Mut, sich weiterhin einem gut laufenden Konkurrenzkampf mit Dortmund, Freiburg und Manchester City zu stellen. 

Das soll nun unter der Leitung eines Neuen geschehen. Zumindest so lange, bis man andernorts einen neuen Trainer findet, den man – weshalb auch immer – besser findet. Im zwischenmenschlichen Kontext betrachtet, ist so ein Vorgehen einfach nur „schäbig“. Aber es geht ja hier um etwas anderes. Um den Profifußball bei Bayern München, der gegenwärtig massiv an Reputation verliert.

Ich halte in den kommenden Tagen und Wochen die Daumen für Dortmund, Freiburg und Manchester City. Die zeigen gegenüber ihren Trainern und Spielern weitaus mehr Herz und Liebe. Dort setzt man auf Vertrauen, gibt und nimmt sich Zeit für Entwicklungen. Schauen wir mal, was am Ende dabei rauskommt. Vielleicht ist die Idee, dass sportliche Leistungen in einer vertrauensvollen Atmosphäre entwickelt werden müssen, ja auch nur eine romantisch überhöhte Floskel. Vielleicht geht es im Profifußball tatsächlich nur noch um Geld.