Am Samstag (15.30 Uhr, Sky) gastiert der FSV Mainz 05 bei Eintracht Frankfurt. Zuletzt fügten die Nullfünfer dem FC Bayern mit einer grandiosen Leistung die erste Saisonniederlage in der Bundesliga zu. 05-Sportvorstand Christian Heidel ordnet im FR-Interview ein paar Dinge ein.
Herr Heidel, Mainz 05 ist gut genug, den FC Bayern zu schlagen. Dann sollte ein Sieg am Samstag bei Eintracht Frankfurt ja auch kein Problem sein?
Guter Versuch. Natürlich wird das eine happige Aufgabe. Wir treffen auf eine absolute Top-Mannschaft. Unser Job wird es sein zu verhindern, dass die Eintracht ins Laufen kommt. Nur dann haben wir eine Chance in Frankfurt.
Sind Eintracht Frankfurt auf Platz drei und Mainz 05 als Siebter die Überraschungsmannschaften dieser Saison?
Frankfurt ist für mich keine Überraschungsmannschaft. Wenn man sich den Kader anschaut, war mir klar, dass die Eintracht ganz oben mitspielt. Vielleicht ist es für den Titel noch ein bisschen zu früh, aber bei der Vergabe der Champions League-Plätze sind die Frankfurter dabei. Unsere Entwicklung ist dagegen überraschender, nachdem der Start doch ein bisschen holprig verlief.
Nach der Niederlage am fünften Spieltag gegen Heidenheim gab es in der regionalen Presse Fundamentalkritik an Trainer Bo Henriksen. Er sei kein Entwickler, sondern nur ein Retter.
Tja, und jetzt haben wir nach 14 Saisonspielen die beste Vorrunden-Zwischenbilanz seit 15 Jahren, als Thomas Tuchel Mainz 05 coachte und die „Bruchweg-Boys“ gefeiert wurden.
Wie haben Sie auf die Kritik an Henriksen reagiert?
Ich habe gedacht, ich sei im falschen Film. Wir sind Mainz 05, wir haben Bo Henriksen im Februar geholt und er hat in der gesamten Rückrunde nur zwei Fußballspiele verloren – in München und in Leverkusen. Im Sommer haben wir drei sehr gute Spieler abgegeben: Brajan Gruda, Leandro Barreiro und Sepp van den Berg. Danach musste man davon ausgehen, dass es etwas dauern würde, bis wir wieder in die Spur kommen.
Sie haben sich öffentlich nicht zu der harschen Kritik am Trainer geäußert. Warum nicht?
Wir haben bis dahin eine ganz normale Mainz-05-Saison gespielt, standen nicht annähernd auf einem Abstiegsplatz. Natürlich hat es mich irritiert, dass so ein Fass aufgemacht wurde, das fand ich unangebracht, aber so ist es halt in diesem Geschäft. Wir haben uns entschieden, das einfach nicht zu kommentieren. Wenn wir uns dazu öffentlich geäußert hätten, hätte es weitere Diskussionen gegeben, wäre das Thema nur unnötig noch größer gemacht worden.
Mittlerweile sagt auch Henriksen selbst, Mainz 05 sei eine „ganz andere Mannschaft“ als zu Saisonbeginn. Wie ist es dazu gekommen?
Dass wir wie aktuell in Schlagdistanz zu den internationalen Plätzen kommen würden, haben wir vielleicht nicht ganz so erwartet, aber wir hatten von Anfang an großes Vertrauen in die Mannschaft und den Trainer. Uns war klar, dass der aus Japan gekommene Kaishu Sano oder auch Paul Nebel, der aus der zweiten Liga zurückgekehrt ist, nicht sofort in der Bundesliga die Sterne vom Himmel spielen würden. Inzwischen ist Sano das Herzstück vor der Abwehr und Paul unumstrittene Stammkraft, der es sehr gut macht. Wir spielen richtig guten Fußball. Das ist ein großes Verdienst nicht nur von den Spielern, sondern auch vom Trainerteam.
In Frankfurt läuft es insgesamt trotz eines aktuellen Durchhängers sehr gut. Trauen Sie der Eintracht zu, auch langfristig in die Phalanx von Bayern, Dortmund, Leverkusen und Leipzig einzubrechen?
Ja. Ich glaube, dass Eintracht Frankfurt die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, stabil da oben reinzurutschen. Die Eintracht hat durch den Standort Frankfurt einen riesengroßen Vorteil. Sie machen es aber auch sehr gut. Aus meiner Sicht ist Eintracht Frankfurt deshalb der einzige Klub hierzulande, der sich nachhaltig dort festsetzen kann.
D ie Eintracht hat zuletzt einen Umsatz von 363 Millionen Euro ausgewiesen. Wie weit ist Mainz 05 davon entfernt?
Meilenweit. Aber das kann man auch nicht vergleichen, die Eintracht ist eine ganz andere Welt. Auch durch die internationalen Fernsehgelder ist der Abstand so viel größer geworden. Wir liegen bei 122 Millionen, also gerade mal einem Drittel der Einnahmen. Und das tun wir auch nur deshalb, weil wir – ähnlich wie die Eintracht – Transfererlöse ausweisen können. Deshalb hoffen wir, dass wir unseren Umsatz in der laufenden Saison noch ein bisschen steigern können.
Das sollte klappen. Sie haben den in der eigenen Talentschmiede ausgebildeten Brajan Gruda für mehr als 30 Millionen Euro nach Brighton verkauft.
Ja, von solchen Transfers sind wir abhängig. So müssen wir arbeiten. Ein, zwei Spieler binnen zwei Spieljahren müssen wir nach oben bringen. Das ist das Modell Mainz 05. So arbeiten wir seit 30 Jahren.
Ihr Offensivmann Jae-sung Lee war nach dem Sieg gegen die Bayern so kühn kundzutun, dass er von Europa träumt. Wird dem vorlauten Lee jetzt von Boss Heidel, der Jahr für Jahr den Klassenerhalt als übergeordnetes Ziel ausgibt, der Mund verboten?
Ach – das kenne ich doch schon seit über 20 Jahren. Sobald es bei uns mal etwas besser läuft, kommt dieses Thema auf. Wir haben es ja auch schon zwei, drei Mal nach Europa geschafft. Wenn die Jungs nach so einem klasse Sieg gegen Bayern München mal euphorisch werden, ist das vollkommen in Ordnung. Aber das wird an unserer Herangehensweise nichts ändern.
Zu Ihrer Herangehensweise gehört es auch, nach jedem Heimspiel bald nach Schlusspfiff in der Fankneipe „Hasekaste“ aufzutauchen und dort ein Bier mit den Leuten zu trinken. Das ist deutschlandweit ein Alleinstellungsmerkmal. Warum bleiben Sie nicht im Businessbereich, wie fast alle anderen Bundesliga-Klubvorstände es tun?
Ich bin nach Spielschluss auch erstmal im Businessbereich. Aber dann geht es rüber in den „Hasekaste“, egal, ob wir 0:5 verloren oder 5:0 gewonnen haben. Früher, am alten Bruchwegstadion, waren alle Fans im „Hasekessel“. Da gab es sonst nichts. Die Leute wissen, dass ich zuverlässig in den „Hasekaste“ komme. Da kann man sich auch mal fetzen. Für mich ist das keine Pflicht, ich mache das gern.
Eigentlich hatten Sie mit dem Bundesligabusiness ja schon abgeschlossen. Wohnort Mallorca, Sonne und Strand. Und dann im dunklen Dezember 2020 mitten in der Pandemie doch zurück zu Mainz 05 als Krisenmanager, als das Schiff sank. Wie sehen die Zukunftsplanungen aus?
Das soll sich jetzt nicht verwirrt anhören, aber ganz ehrlich: Ich habe keinen Plan. Als ich zurückgekommen bin, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass ich vier Jahre später noch immer hier sein würde. Ich habe damals mehrfach „Nein“ gesagt, aber dann haben sie mich emotional ranbekommen, indem sie mich in ein Restaurant gelockt haben, wo dann die halbe 05-Geschäftsstelle saß und mir klarmachte: „Du musst zurückkommen, sonst ist hier Feierabend.“
Sie haben dann gemeinsam mit Bo Svensson und Martin Schmidt eine wundersame Rettung geschafft. Werden Sie jetzt den Sportdirektor Niko Bungert als Ihren Nachfolger aufbauen?
Da will ich lieber nicht zu weit vorpreschen. Wir haben mit Niko und unserem Technischen Direktor Meikel Schönweitz zwei junge Leute dazu genommen. Wer mich kennt, der weiß: Ich schaue mich immer erst im eigenen Haus um.
Warum tun Sie das?
Weil Mainz 05 speziell ist. Wer in unserem Verein eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen bekommt, sollte den Klub kennen und verstehen. Ich muss ehrlich sagen: Als ich 2020 zurückkam, habe ich den Verein nicht mehr richtig gekannt. Inzwischen haben wir Rekord-Mitgliederzahlen, den höchsten Zuschauerschnitt und verkaufen fünfmal so viele Trikots wie vor vier Jahren. Ich habe das Gefühl, dass die Mainzer wieder zu Mainz 05 gefunden haben. Dafür brauchst du Leute, die verstehen, wie das geht.
Herr Heidel, sind Sie zufrieden mit dem neuen nationalen Medienvertrag der Deutschen Fußball-Liga, der eine sachte Steigerung der TV- und Streamingerlöse um zwei Prozent auf 1,12 Milliarden Euro pro Saison für die beiden Bundesligen einbringen wird?
Ich bin sehr zufrieden. Das hatte ich in der Größenordnung nicht erwartet, zumal andere europäische Ligen rückläufige Erlöse erleben. Steffen Merkel und Marc Lenz in der DFL-Geschäftsführung haben gemeinsam mit Aki Watzke einen Riesenjob gemacht. Da muss ich ein großes Lob aussprechen.
Vor Corona gab es allerdings schon mal 1,35 Milliarden Euro pro Saison. Wenn man dazu noch die Inflation reinrechnet, sind 1,12 Milliarden nicht sogar ein echter Rückschritt?
Sie müssen das Marktumfeld berücksichtigen. In Frankreich gab es fast 50 Prozent weniger, eine totale Katastrophe. Wir haben hier für die Pay-TV-Rechte zwei Player, Dazn und Sky, mehr nicht. Vor Corona war Dazn neu auf dem Markt erschienen. Deshalb gab es seinerzeit dieses Rekordergebnis.
Jetzt geht es unter den Klubs um die Verteilung des vielen Gelds. Die Bayern, die sowieso mit Abstand am meisten abbekommen, wollen mehr, auch Traditionsmarken wie Schalke 04 haben den Finger gehoben und wollen mehr vom Kuchen, weil die Quoten beim populären Zweitligisten Schalke besser sind als bei Erstligisten wie Mainz 05 oder Heidenheim. Was wollen Sie?
Wir finden die Verteilung, wie bisher gehandhabt, sehr fair. Wenn es im Fußball nicht mehr nach Leistung geht, müssen die Alarmglocken schrillen. Ich kann sicher nachvollziehen, dass Schalke und andere Traditionsklubs aus der zweiten Liga die Säule, die die TV-Erträge nach Interesse verteilt, gerne fünfmal größer hätten. Aber die zweite Liga bekommt mit 20 Prozent an den Erlösen trotz viel kleinerem Anteil an den Einnahmen durch TV-Gelder schon ein großes Goodie von den Erstligisten. Das finde ich in der Größenordnung auch richtig so, aber mehr auch nicht.
Was gefällt Ihnen weniger?
Der Ansatz, mehr Geld zu wollen, weil man als Traditionsverein vielleicht vor 30 oder 40 Jahren sehr gut gearbeitet hat. Das Jetzt sollte bewertet werden, nicht die Vergangenheit. Die Tür muss auch für Klubs wie Heidenheim, die einfach gute Arbeit machen, offen stehen. Sonst würde etwas schief laufen. Es ist den Großen in der zweiten Liga wahrlich nicht verboten, wieder in die Bundesliga aufzusteigen – ihnen stehen dieselben TV-Gelder zur Verfügung, plus die ohnehin um ein Vielfaches höheren Einnahmen durch ihre Standortvorteile. Zumal es auffällt, dass die am lautesten vernehmbar sind, die die größten finanziellen Probleme haben. Wer heute gute Arbeit innerhalb seines Klubs leistet, muss dafür auch weiterhin eine faire Chance auf Erfolg bekommen dürfen.
Es soll zur Klärung dieser Fragen eine außerordentliche Mitgliederversammlung stattfinden, Schalke fordert ein Forum, in dem alle 36 Klubs der ersten beiden Ligen Leitplanken diskutieren sollen, die dem DFL-Präsidium der DFL vor einem abschließenden Beschluss als Empfehlung dienen. Was halten sie davon?
Dass auf einmal alles umgestellt werden soll und die Planungssicherheit so verloren gehen würde, wäre fatal. Denn bis zum 15. März müssen alle Klubs ihre Lizenzierungsunterlagen abgeben. Im Übrigen hat sich die DFL eine Satzung gegeben: Danach entscheidet das Präsidium über die Verteilung, um besonnen vernünftige Entscheidungen für die Zukunft der gesamten Liga zu treffen und diese nicht durch ständige, teils von Einzelinteressen geleiteten Abstimmungen zu lähmen. Dafür haben wir das Präsidium gewählt. Das ist zudem sehr heterogen besetzt, damit die Interessen aller berücksichtigt werden.
Naja, dort sitzt nach den Aufstiegen von Holstein Kiel und dem FC St. Pauli jetzt nur noch ein einziger Zweitligavertreter. Die zweite Liga ist dort unterrepräsentiert.
Die Leute von Kiel und St. Pauli haben weiterhin für die kleineren Klubs ihre Ohren offen und die zweite Liga nach wie vor sehr im Blick. Ich vertraue dem Präsidium, dass es einen ausgewogenen Verteilungsschlüssel findet.
Weshalb haben Sie selbst eigentlich nie das Bestreben gehabt, sich ins Liga-Präsidium wählen zu lassen, so wie es ihr Frankfurter Kollege Axel Hellmann ja auch getan hat, um dort das Gewicht von Mainz 05 einzubringen?
Ich tue das ja trotzdem als inzwischen mit einigem Abstand Dienstältester in diesem Profigeschäft. Ich bin auch so ständig mit den Kollegen im Austausch. Wir haben Samstag mit den Bayern zusammengesessen und uns über genau diese Themen unterhalten. Wir werden das auch nächsten Samstag mit unseren guten Freunden von der Eintracht tun, mit denen wir unter allen Vereinen mit das beste Verhältnis haben. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich bin nicht der ganz große Politiker. Und: In Mainz gab es immer genug für mich zu tun.
Wurden Sie nach Ihrer Rückkehr in den 05-Vorstand noch mal gefragt, ob Sie nicht doch als „elder statesman“ ins DFL-Präsidium rücken wollen?
Ja. Aber da habe ich direkt abgesagt. Das sollten jetzt Jüngere tun.
Zur Person Christian Heidel hat bei Mainz 05 alles im Griff. Seit der 61-Jährige vor vier Jahren als Sportvorstand zurück zu seinem Heimatklub gekommen ist, haben die Rheinhessen wieder weitgehend ihre Ruhe gefunden. Nur Heidel selbst hat jetzt keine Ruhe mehr, dafür ist zu viel zu tun bei einem Fußball-Bundesligisten, der auch mal in Abstiegsgefahr geraten kann – oder in die Europa League. Eigentlich hatte der Mann , der die Karrieren der späteren Toptrainer Jürgen Klopp und Thomas Tuchel mit seinem Vertrauensvorschuss angeschoben hat wie kein anderer, schon längst auf Mallorca die Beine hochlegen wollen. Stattdessen gilt es, die Übernahme der Mainzer Fußballarena Arena zu fixieren und den geplanten Neubau der Geschäftsstelle am Bruchwegstadion in die Wege zu leiten. Kaum ein Bundesliga-Klubmanager ist in der Branche und in der Stadt so gut vernetzt wie Heidel, dessen Vater Herbert zweieinhalb Jahrzehnte bis 1995 Mainzer Bürgermeister war – damals, in einer längst vergangenen Zeit, als Mainz 05 als ein Niemand auf der Fußballlandkarte wahrgenommen wurde. Bis Christian Heidel die Sache in die Hand nahm. jcm