Es ist knapp eineinhalb Jahre her, da zog Eintracht Frankfurt relativ unkompliziert nach einem 3:2-Sieg im Halbfinale beim VfB Stuttgart ins Pokalfinale ein. Im Schwäbischen war man nicht so furchtbar tief enttäuscht darüber, es gab viel, viel Wichtigeres zu tun, den Klassenerhalt zu sichern etwa. Der war lange höchst ungewiss, erst nach zwei siegreich gestalteten Relegationspielen gegen den Hamburger SV blieben die Stuttgarter erstklassig, noch mal gut gegangen.
Eineinhalb Jahre später hat man das Gefühl, dieses Halbfinale stamme aus einer anderen Epoche, aus dem letzten Jahrhundert mindestens. Was hat sich dieser VfB in diesen 18 Monaten gemausert! Vom kaum wettbewerbsfähigen Rumpelfüßler zum Vizemeister und Champions-League-Teilnehmer, der Real Madrid am Rande der Niederlage hat und mal so eben Juventus Turin auf eigenem Rasen schlägt, hochverdient schlägt. Eigentlich immer noch sehr wundersam das alles.
Und es ist, neben dem Trainer Sebastian Hoeneß, der zahlreiche VfB-Profis besser gemacht hat, auch ein Spieler, der stellvertretend für diesen Höhenflug stehen kann, Enzo Millot, ein inzwischen 22 Jahre alter Franzose mit Wurzeln in Martinique, der lange, sehr lange unter dem Radar flog, aber seit einem Jahr längst zum Dreh- und Angelpunkt furioser Stuttgarter Offensivpower geworden ist. Es ist übrigens genau der Millot, der seinerzeit im Halbfinale als Einwechselspieler auf 2:3 verkürzte, der „als zahnloser Edeltechniker lange als Sinnbild verkorkster Transferstrategie“ galt, wie „Bild“ seinerzeit gnadenlos notierte. Der damalige Trainer Bruno Labbadia hatte wenig Verwendung für den jungen Mann, der 2021 für unter zwei Millionen Euro vom AS Monaco kam, „er gibt uns nicht, was wir brauchen“. Viel hatte nicht gefehlt und sie hätten Millot verkauft. Inzwischen ist der Silbermedaillengewinner von Paris und Kapitän der französischen U21 42 Millionen Euro wert, so viel wie kein anderer VfB-Akteur, nicht Deniz Undav, nicht Angelo Stiller, nicht Maximilian Mittelstädt. Und unangefochtener Stammspieler sowieso - kaum etwas erinnert mehr ans einst schlampige Genie, das seine liebe Müh und Not mit Disziplin und Pünktlichkeit hatte: Ein Phönix aus der Asche.
Der Aufschwung des bis 2028 gebundenen Linksfußes hat unmittelbar mit Trainer Hoeneß zu tun, der größte Stücke auf den französischen Freigeist hält. Er sei „gesegnet mit außergewöhnlichen Qualitäten“, lobpreiste er kürzlich. Andere sehen angesichts seiner feingliedrigen Dynamik Ähnlichkeit mit dem früheren Stuttgarter Aleksandr Hleb.
Tatsächlich gibt der offensive Mittelfeldspieler bei den Schwaben den Takt vor, Angelo Stiller und Kapitän Atakan Karazor halten ihm den Rücken frei, er inszeniert fast alle Angriffe und ist mit seiner für einen Techniker aggressiven, robusten Spielweise eine Idealbesetzung für das VfB-Pressing. Kaum einer in Bad Cannstatt führt so viele Zweikämpfe wie Millot, geht so häufig in die Duelle Mann gegen Mann. Und er kann dribbeln, unvergessen etwa, wie er Nationalspieler Nico Schlotterbeck von Borussia Dortmund im September vor dem zwischenzeitlichen 4:1 praktisch auf der Außenlinie ausgespielt hatte und El Bilal Touré die Kugel maßgerecht serviert hatte. Millot selbst hat in dieser Saison in 15 Pflichtspielen fünf Tore und drei Vorlagen geliefert, und folgenlos gegen Turin einen Elfmeter verschossen hat. Immerhin: Der Junge traut sich was.
Beim letzten Treffen beider Klubs in Stuttgart im April gab es für die Eintracht eine ernüchternde 0:3-Schlappe, sie war hoffnungslos unterlegen bei Toren von Guirassy, Undav und Leweling - alle drei werden morgen nicht dabei sein. Aber Enzo Millot - der saß damals 90 Minuten draußen.