Man hätte diesen Text über den einzigartigen Karl-Heinz Körbel auch damit beginnen können, wie er damals, 1991, um sein 603. Bundesligaspiel betrogen wurde. Oder damit, dass mit ihm im Team, obwohl er doch längst die Fußballschuhe an den Nagel gehängt hatte, Eintracht Frankfurt in Rostock todsicher Deutscher Meister geworden wäre, wenn, ja wenn ein gewisser Dragoslav Stepanovic nicht eingeknickt wäre, und Körbel, 37, aufgestellt hätte - „ich war topfit“.
Man hätte auch den verbalen Ausbruch des früheren HR-Reporters Joachim Böttcher voranstellen können, der im Herbst 1996 in der Pressekonferenz nicht mehr an sich halten konnte und „Ihr seid die größten Schweine, so etwas zu machen. Das wird euch leid tun“ rief, als Vizepräsident Bernd Hölzenbein seinen Freund und langjährigen Spielkameraden als Trainer aus dem Riederwald jagte. Oder wie fuchsteufelswild dieser ewige Charly werden konnte, wenn einer dreist versuchte, ihm in einem Spiel der Eintracht-Traditionself den Ball durch die Beine zu spielen, oje, da konnte der ansonsten so nette Herr Körbel richtig sauer sein, polierte Schienbeine waren dann das Mindeste. Aber immer fair!
Doch wir beginnen unseren Text mit dem vergangenen Montag, da vergab die FR den Schlappekicker-Preis im Kaisersaal des Römers an den Budo Club Mühlheim, der sich um Inklusion von geistig behinderten Menschen bemüht. Körbel ist seit vielen Jahren Schirmherr des FR-Schlappekickers, und nicht nur pro forma. Er kümmert sich, macht und tut, er hat frischen Wind in diese bald 75 Jahre währende Institution gebracht, die einst schon sein Vorbild Fritz Walter unterstützte. Vor einem Jahr hat er 2500 Euro von seinem überraschend erhaltenen Walter-Bensemann-Preis für den Schlappekicker gespendet.
Kümmerer und Macher
Dabei hätte dieser Karl-Heinz Körbel in diesen Tagen anderes zu tun: Am Sonntag wird der Mann, man glaubt es kaum, wenn man ihn sieht, drahtig, umtriebig, gesund wie eh und je, tatsächlich 70 Jahre alt. Es wird einen großen Bahnhof geben, die Eintracht wollte ihn sogar im Römer hochleben lassen. Das wollte er nicht, war ihm zu viel, „vielleicht wenn ich 90 werde.“ Großes Trara um seine Person mag er nicht so sehr, am Ehrentag taucht er ab, obwohl es ihn natürlich freut, dass ihm überall, wo er hinkommt, die Sympathien nur so zufliegen, seine Beliebtheit deutschlandweit ist ungebrochen. Weil er noch so altmodische Tugenden wie Treue, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Anständigkeit, Nahbarkeit verkörpert.
Mit ihm kann sich jeder identifizieren, ein Verein, sein ganzes Leben lang (bis auf zwei Abstecher nach Lübeck und Zwickau), er ist das Gesicht dieses Klubs, eine lebende Legende. „Er musste als Spieler nicht nach einem Tor den Adler küssen oder dreimal mit der Hand auf die Brust schlagen, um eine Identifikation mit der Eintracht vorzugaukeln“, beschreibt ihn der langjährige Eintracht-Chef Heribert Bruchhagen. 2001 gründete er die Eintracht-Fußballschule, die Kindern- und Jugendlichen Trainingsmöglichkeiten gibt, mittlerweile der größte Imageträger des Klubs, hinter der Profimannschaft. Auch weil Körbel sie leitet. Karl-Heinz Körbel ist die Eintracht.
Der Mann, aktuell Berater des Vorstands, trägt sein Herz auf der Zunge, er ist authentisch geblieben, bodenständig, im weitesten Sinn „normal“. Affären, Intrigen oder Skandale gab es keine, noch immer ist er mit derselben Frau verheiratet, mit Margarethe, seit mehr als 40 Jahren, Tochter Carla, Dressurreiterin im Hessenkader, ist inzwischen verheiratet. Er ist ein Kümmerer, ein Möglichmacher, manchmal rettet er auch mal die Kuh Matilda vor dem Schlachthaus, mal 30 Hasen vor dem Labortod, dank seiner Beliebtheit öffnen sich viele Türen, die anderen verschlossen bleiben.
Karl-Heinz Körbel hat lange Zeit die Eintracht sportlich geprägt, vor allen: Er hat – bis auf die Meisterschaft 1959 und die Europapokal-Auftritte inklusive des Triumphs von Sevilla 2022 – alle größeren Erfolge der jüngeren Eintracht-Geschichte als Spieler miterlebt, überhaupt erst möglich gemacht. Er ist ja nicht nur viermal Pokalsieger geworden (1974, 1975, 1981 und 1988) und Europameister mit der Amateurnationalmannschaft (1974), er hat auch den Uefa-Cup gewonnen, 1980, er hat kein Endspiel verloren und keine Relegation. Insgesamt kommt der Stopper auf 731 Pflichtspiele und 51 Tore. Mit ihm ist der Klub nie abgestiegen, war immer erstklassig. Er war immer da, ein Garant, ein Fels an Beständigkeit - seit er am 14. Oktober 1972 sein Debüt gab, als 17 Jahre alter A-Jugendspieler aus Dossenheim, der flugs in seinem ersten Spiel gegen Bayern München Gerd Müller ausschaltete. 601 Spiele später ging er in einem seiner vieltausendfachen Zweikämpfe einen Schritt zu weit: Im vorletzten Spiel beim FC St. Pauli handelte er sich eine Gelbsperre ein, fehlte somit im letzten Heimspiel, das sein Abschiedsspiel hätte sein sollen - nach 19 Profijahren - bis auf einen Beinbruch verletzungsfrei. Damals sprach Körbel von einem „Allerweltsfoul“, heute sieht er es so: Das Foul war niemals gelbwürdig – „er hätte mir glatt Rot zeigen müssen“.
Keine Rampensau
Wie groß seine Popularität auch im siebten Lebensjahrzehnt ist, zeigt auch diese kleine Begebenheit: Bei der Eröffnung des Frankfurter Weihnachtsmarkts sang Schlagerbarde Bernhard Brink auf einer Bühne vor dem Römer. Als er unten Körbel erkannte, der auf dem Weg in den Kaisersaal war, wollte er ihn zu sich auf die Bühne bitten. Brink kennt Körbel. Charly hat abgelehnt, zu viel Aufhebens.