Kaua Santos: ein Hauch von Tomislav Piplica

22.12.2024

Der junge Torwart Kaua Santos, vorschnell bei Eintracht Frankfurt als Nachfolger von Kevin Trapp gehandelt, avanciert beim unschönen 1:3 gegen Mainz 05 zur tragischen Figur.

Die böse Kunde kam frühmorgens, und da ahnte natürlich keiner, dass sie das Bundesligaspiel ein paar Stunden später entscheiden sollte. Um „9.16 Uhr“, so erzählte Trainer Dino Toppmöller minutiös, sei er von Torwarttrainer Jan Zimmermann darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass die eigentliche Stammkraft unter der Latte, Kevin Trapp, nicht würde spielen können. „Er liegt flach“, hieß es, Gliederschmerzen, eine Grippe machte den Einsatz unmöglich, „von gestern auf heute“. Eigentlich kein ganz großes Problem, dachte man im Eintracht-Kosmos, man habe ja Kaua Santos, den baumlangen Ersatzmann, der mühelos einspringen könnte.

Ohnehin gilt der hoch aufgeschossene Brasilianer, 21 Jahre alt, Vater schon, als riesengroßes Talent und bereits als legitimer Nachfolger von Kevin Trapp. Sechsmal war Santos vorher in der Profimannschaft eingesetzt worden, darunter waren die Spiele bei Besiktas Istanbul und Bayern München, in denen er überragend, eigentlich sensationell gut parierte, in der Türkei wehrte er ein gutes Dutzend knallharter Schüsse ab, er hielt zudem einen gut geschossenen Elfmeter. Und noch heute hat man Thomas Müller im Ohr, wie lobend er sich nach dem Bayern-Spiel über den gegnerischen Torwart geäußert hatte. Viele wollten Santos da schon viel besser gesehen haben als den gerade aus der Nationalmannschaft relegierten Trapp, viele forderten vehement die Wachablösung im Kasten.

Anweisung missachtet

Was sollte also schiefgehen mit Kaua Morais Vieira dos Santos im Eintracht-Tor? Inzwischen weiß man: ziemlich viel!

Denn dem Brasilianer sind zwei kapitale Böcke unterlaufen, die diese Partie auch zugunsten der Mainzer kippen ließen, weil auf der anderen Seite Frankfurter Offensive nicht in der Lage waren, beste und allerbeste Chancen in Tore umzumünzen. Und genau das ist das Dilemma im Torwart-Leben: Seine Fehler führen unweigerlich zu Toren, ein Stürmer kann zehnmal daneben schießen und trotzdem der Held sein, wenn er dann einmal trifft.

Und doch muss man sich fragen, was Kaua Santos geritten haben mag, in dieser 16. Minute den Ball auf den hart und giftig von Mainzer Gegenspielern bedrängten Ellyes Skhiri zu spielen. Überschätzung der eigenen fußballerischen Fähigkeiten? „Genau diese Bälle wollen wir nicht“, sagte Toppmöller hinterher, darüber habe man explizit vor der Partie gesprochen. Skhiris verunglückter Rückpass geriet zur Bogenlampe, die sich Santos dann selbst ins Tor wischte, indem er den Ball erst an die Latte lenkte, von seinem Ellbogen prallte die Kugel ins Tor. Er habe wohl gedacht, der Ball gehe übers Tor, meinte Toppmöller später. Warum der fast zwei Meter große Torwart nicht versucht hatte, den Ball einfach zu fangen, erschloss sich nicht, vielleicht weil er von einem Rückpass ausging? Ein wenig wehte der Hauch von Tomislav Piplica durchs Stadion, dem einstigen Torwart von Energie Cottbus, der sich 2002 einen hohen Ball unbeabsichtigt ins eigene Tor geköpft hatte. Eine Szene, die seither in keinem Rückblick fehlt.

Ein ähnliches „Slapstick-Tor“ kassierte Santos. „Er tut mir ein bisschen leid“, sagte Sport-Vorstand Markus Krösche später, er habe „keinen guten Tag erwischt“ und Entscheidungen getroffen, die „nicht so gut waren“. Auch das 0:3 resultierte aus seinem Fehler, da spielte er den Ball riskant in den freien Raum, ein Mainzer spritzte dazwischen, schon war der Ball im Tor. Er sei noch jung „und mental stark“, sagte Robin Koch, der Santos hinterher aufzubauen versuchte.

„Daraus wird er lernen“, hofft Krösche, „das wird ihn stärker machen“. Wirklich? Es wird ihn nur stärker machen, wenn der zweifellos gute Torwart seine Pannenquote drastisch reduziert. Denn es waren ja nicht seine ersten Raben, die er gefangen hatte, in seinen bislang sieben Einsätzen hat er vier Tore verschuldet, das ist viel: den 3:3-Ausgleich gegen Viktoria Pilsen, den (unbedeutenden) 3:1-Treffer in Istanbul, jetzt die beiden „wahnsinnigen Gegentore“ (Toppmöller) gegen Mainz. Fehler dieser Art sind ihm zudem im vergangenen Jahr im Regionalligateam unterlaufen.

Keine Rückpässe mehr

Diese Aussetzer muss er schleunigst minimieren, will er tatsächlich diese „tolle Karriere vor sich haben“, die ihm Toppmöller prophezeit. Man wird genau beobachten, wie er dieses Horrorspiel weggesteckt. Das könnte ihm einen Knacks gegeben haben - und er hat fürs Erste viel an Vertrauen eingebüßt. Nach dem 0:3 vermieden es die Vorderleute, den Ball zum Tormann zurückzuspielen. Das muss er sich zurückholen.

Wie das geht, kann er sich an der Nummer eins abgucken, dem heimlichen Gewinner dieses verkorksten Nachmittags: Trapp ließ im vorletzten Heimspiel gegen Augsburg einen leichten Ball fallen, der ebenfalls zu einem Gegentor führte - um eine Woche später in Leipzig überragend gut zu halten. Bemerkenswert ist dennoch: Die letzten beiden Heimspiele hat Eintracht Frankfurt wegen kaum erklärbarer individueller Fehler der Torleute nicht gewonnen, diese Patzer kosteten fünf Punkte.