Gastkommentar von Deniz Solmaz

„Unfassbare Doppelmoral“

20.04.2021

Der Aufschrei ist groß: Nach der Ankündigung führender Großclubs, eine eigene Fußball-Super League zu gründen, ist das mediale Echo verheerend. Die Pläne dieser exklusiven Super Liga ohne Abstieg für einen elitären Kreis forcieren eine Zweiklassen-Gesellschaft. Kaum einer merkt dabei, dass der Deutsche Fußball Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) gerade ganz ähnliche Pläne vorantreiben, sagt Deniz Solmaz, Jugendleiter der TSG Wieseck. Ein Gastkommentar.

Das „Projekt Zukunft“ von DFL und DFB für den deutschen Jugendfußball steht unmittelbar bevor und zielt in die gleiche Richtung: Abschaffung der U19- und U17-Bundesliga in der aktuellen Form, hin zu einer elitären, exklusiven Liga nur für Nachwuchsleistungszentren - ohne Abstieg und immer mit der gleichen Besetzung. Bayern München, Borussia Dortmund und RB Leipzig unter sich. Et voila: die „NLZ-Liga“. Durch den wegfallenden Ergebnisdruck soll es - laut DFL/DFB-Konzept - bessere Fußballer geben. Die Amateurvereine spielen bei dem Gedanken keine große Rolle mehr. Zum Konzert der Großen dazuzugehören, ist nahezu ausgeschlossen. Auch hier wird es zwei Klassen geben. Die NLZs der Profivereine, die dann im schlimmsten Fall komplett unter sich bleiben (wollen) - und der große Rest an Amateurclubs. Eine Parallele zur Super Liga. Sich über die Super League beschweren und im eigenen Land für den Jugendfußball eine eigene exklusive Liga gründen - welch Doppelmoral. Gegen diese Pläne im deutschen Jugendfußball regt sich in den Landesverbänden und bei Vertretern der Amateurclubs großer Widerstand – wie bei der Super Liga. Führende Fußballfunktionäre wehren sich massiv gegen das Vorpreschen von Manchester City, Juventus Turin oder Real Madrid. Erfreulicherweise halten die deutschen Teams hier zusammen und sprechen eine Sprache. Laut Rudi Völler ist es „ein Verbrechen am Fußball“, Aki Watze spricht von „Rückgrat beweisen“, gegen die Zementierung einer Zweiklassen-Gesellschaft. Die Fans gehen auf die Barrikaden und wollen kein Teil der Gelddruckmaschine werden. Sie sehen die Abschaffung des offenen Leistungsgedankens kritisch. Der Leistungsgedanke soll auch im Deutschen Jugendfußball nahezu abgeschafft werden. NLZs können dann nicht mehr absteigen, große Amateurclubs dann nicht mehr aufsteigen. Dass es Veränderungen im deutschen Jugendfußball geben muss, ist unumstritten. Aber der Sport lebt vom Auf und Ab, von Hochs und Tiefs, von Meisterschaften und Abstiegen. Es hilft nichts, die Kinder und Jugendlichen in Watte zu packen. Der Leistungsgedanke ist berechtigt und trifft die Kinder/Jugendlichen schon früh. Das ist nicht das Problem. Das Problem sind Trainer und Funktionäre mit einer mangelnden Portion Empathie. Die Pläne einer erlesenen Super Liga sind weltfremd. Die Pläne von DFB, DFL und vieler NLZs, exklusive Eliteligen im Jugendbereich zu schaffen, sind nicht Eins zu Eins vergleichbar. Leider steuern sie aber in die gleiche Richtung.

Dreifürst ist ebenfalls ein Kritiker

Auch Thomas Dreifürst, Vorsitzender des JFV Viktoria Fulda, kritisiert die Pläne: „Natürlich kann man die Situationen nicht direkt vergleichen, aber der Ansatz ist definitiv bedenkenswert. Hier findet ebenfalls ein Elite-Denken statt. Es würde eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen“, befürchtet Dreifürst. Obwohl nicht nur Viktoria Fulda und Wieseck diese Probleme sehen, hat Dreifürst nur wenig Hoffnung, dass – anders als bei der Super League, die wohl auf Eis gelegt wird – die Kritik am neuen Konzept eine Planänderung bewirkt: „Da hat man keine Chance und keine Lobby. So etwas wird vom DFB, also von ganz oben, vorgegeben“, so der Vorsitzende, der Veränderungen zugunsten der Talentförderung grundsätzlich unterstützen würde: „Den Ansatz kann ich absolut verstehen. Allerdings ist dieses geplante Konzept nicht der Weisheit letzter Schluss.“