Mal denkwürdig, mal wild, selten normal
Gute Laune nach dem Sieg in Dänemark: Arthur Theate und Robin Koch (re.). Und am Donnerstag in Frankreich? IMAGO/HMB-Media © IMAGO/HMB-Media
Ob zwei freie Tage der Profimannschaft der Frankfurter Eintracht ausgereicht haben, um den Akku wieder aufzuladen, den Körper und den Geist zu revitalisieren? Ob die kurze fußballlose Zeit genügte, um böse Patzer (Kevin Trapp) aus dem Kopf zu streichen, Platzwunden zu heilen (Rasmus Kristensen, Oscar Hojlund) oder ein neues Elixier zu mixen, das den Magier (Omar Marmoush) wieder zaubern lässt? So genau weiß man das nicht, so genau weiß es nicht mal Dino Toppmöller, und der weiß ziemlich viel, weil er verantwortlich ist für die Fußballer von Eintracht Frankfurt, die nicht weniger sind als das hessische Aushängeschild in Sachen Balltreterei – und die die Farben der Eintracht auch dieses Mal hinaustragen nach Europa und sie würdig vertreten.
Das soll so bleiben. Hofft und glaubt Trainer Dino Toppmöller: „Wir werden noch mal über die Grenzen gehen, alles raushauen und ein gutes Gesicht zeigen.“ Am Mittwochmittag bat er sein Team erstmals wieder auf den Übungsplatz, Abschlusstraining in Frankfurt, ehe es am Nachmittag von Rhein-Main Richtung Frankreich ging.
Dort, im schönen Lyon, der Stadt des Lichts, wird die Eintracht am Donnerstagabend zum letzten Mal in diesem Jahr auf internationaler Bühne gefragt sein, Olympique erwartet den Gast aus Deutschland. Für die Frankfurter geht es darum, einen großen Schritt in Richtung Achtelfinale zu machen. Das ist das erklärte Ziel, und dazu müssten sie unter die ersten Acht des reformierten Wettbewerbs kommen. Sie liegen bisher aussichtsreich im Rennen, auf Rang drei, 13 Zähler, punktgleich mit dem Ersten, Lazio Rom. Die letzten vier Partien haben sie allesamt für sich entschieden, und wenn sie nicht am ersten Spieltag in einer vogelwilden Schlussphase einen sicher geglaubten Sieg gegen Viktoria Pilsen noch hergeschenkt hätten (3:3 nach 3:1), wären sie jetzt schon fast durch.
So werden sie noch ein paar Pünktchen zusammenklauben müssen, vier bis fünf glaubt Sportvorstand Markus Krösche. Das scheint allerdings sehr hochgegriffen, die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie bei einem Sieg am Donnerstag (21 Uhr/RTL) im Südosten Frankreichs das Ticket fürs Achtelfinale am 6. und 13. März so gut wie sicher haben. Das würde den Vorteil mit sich bringen, im neuen Jahr etwas mehr Zeit zum Durchschnaufen zu haben. Sollte die direkte Qualifikation nicht gelingen, müsste die ohnehin stark beanspruchte Eintracht-Mannschaft zwei Playoff-Spiele austragen, am 13. und 20. Februar. Will man vermeiden.
In Lyon aber hängen die Trauben hoch, Olympique hat sich gefangen und ist seit acht Begegnungen ungeschlagen, die letzten drei hat das Team souverän gewonnen, 4:1 gegen Qarabag Agdam, 4:1 gegen Nizza, 3:0 gegen Angers SCO. Die Hessen sollten gewarnt sein. „Wir treffen auf einen richtig guten Gegner mit viel Qualität“, sagt Sportchef Krösche. Der 44-Jährigen glaubt, dass der Kontrahent aus dem Süden die Partie aktiv und offensiv gestalten wird, „Lyon muss gewinnen“. Zumindest dann, wenn OL oben in der Tabelle dranbleiben will.
Das könnte der Eintracht in die Karten spielen, die ihre stärksten Auftritte zeigte, wenn sie dem Gegner mit überfallartigen Kontern über ihre pfeilschnellen Spieler zusetzen konnte. Und flink sind die Frankfurter. In der „Kicker“-Rubrik „Die Schnellsten des Spieltags“ ist fast immer einer auf dem Treppchen dabei, Jean-Matteo Bahoya schon zweimal (35,68 km/h, 35,51), genauso wie Ansgar Knauff (35,27, 35,93) und Omar Marmoush (34,69, 34,75). Nnamdi Collins (35,77) schaffte es einmal in die Top drei, und am ersten Spieltag war Hugo Ekitiké (35,53) der Flotteste von allen. Das ist ein Pfund, mit dem die Hessen trefflich wuchern können.
In der Bundesliga stellen sich die Konkurrenten logischerweise immer mehr auf die Frankfurter Sprinter ein, doch auf internationalem Parkett könnten sie vielleicht ein bisschen weniger Beachtung finden. OL ist auch ein Team, das gerne selbst den Ball hat. Vielleicht bekommen die Frankfurter so mehr Raum für ihre gefürchteten Angriffe.
Natürlich wird sich auch Olympique in erster Linie darum kümmern, den Überflieger Omar Marmoush aus dem Spiel zu nehmen. Die Abhängigkeit der Eintracht von dem 25-Jährigen ist nicht zu leugnen. Doch in seinem Schatten wachsen andere stetig. Was so ein bisschen untergeht: Auch sein Sturmpartner Hugo Ekitiké steht schon bei 16 Torbeteiligungen (elf Tore, fünf Vorlagen) in 20 Spielen – und er hat die Eintracht in der abgelaufenen Runde fast im Alleingang nach Europa geschossen, erzielte da in den fünf letzten Spielen vier Tore und bereitete den wichtigen Ausgleich in Gladbach vor. Auch jetzt gegen Augsburg machte der Franzose sein Tor und überzeugte nach dem kargen 2:2 mit einer wohltuend selbstlosen Einschätzung: „Ich bin nicht glücklich, wenn ich treffe, aber wir nicht gewinnen.“ Kleiner Nebeneffekt: Schon zum dritten Mal legte Ansgar Knauff dem Kollegen einen Treffer auf – so oft wie sonst nur Marmoush.
Auch dies spannend: Die Eintracht hat eine hervorragende Bilanz gegen Teams aus Frankreich – und lebhafte Erinnerungen. Da gab es damals, 2013, die Fan-Invasion in Orange in Bordeaux mit einem überwältigten Armin Veh, der mit Tränen in den Augen die Eintracht-Fahne schwenkte. Oder den Sieg im Geisterspiel in Marseille, die Initialzündung 2018. Oder auch der erste Dreier in der Champions League in der Eintracht-Geschichte, 1:0, erneut in Marseille. Und schließlich war da ja noch das Playoff-Rückspiel gegen Racing Straßburg, eines der emotionalsten Duelle überhaupt – auch dank des wild gewordenen Oberbüffels Ante Rebic, der beim 3:0-Erfolg erst die Führung erzielte, dann vom Platz flog und im Kabinengang die Fäuste fliegen ließ. Es sollte das letzte Spiel des Pokalhelden für die Eintracht gewesen sein, ein ganz und gar denkwürdiges.