Stationen in Venezuela und Philippinen

Waffen und Weltenbummler: Khatons besondere fußballerische Reise

31. Juli 2022, 10:47 Uhr

Reasat Khaton hat durch den Fußball viel erlebt. Unter anderem in Wales lief der Wahl-Nordhesse auf. Foto: privat

Er hätte sicher über viele Jahre in der Hessenliga spielen können. Doch Reasat Khaton wählte einen anderen Weg. Der heute 32-Jährige bereiste die Welt. Als Fußballer getarnt.

Alles begann in Dhaka. In der Hauptstadt Bangladeschs kam Khaton 1989 zur Welt, seine Kindheit und Jugend verbrachte er schon in Deutschland. In Freiburg ließ sich seine Familie nieder, beim SC Freiburg kickte er. Bis die Familie im A-Jugend-Alter gen Nordhessen zog. Kassel war fortan die Heimat, beim KSV wurde der sportliche Werdegang fortgesetzt. Die Regionalliga und Hessenliga lernte er kennen, doch es sollte mehr sein. Die gesamte Jugend ging für den Fußball drauf, das wollte er nicht so einfach hinnehmen. Station um Station folgte, beim bayrischen Regionalligisten SV Seligenporten angelangt, war Schicht im Schacht. Einen neuen Vertrag gab es nicht. 24 Jahre war er nun, immer wieder von kleineren Verletzungen geplagt. Khaton stellte sich eine für seinen weiteren Lebensweg wichtige Frage: Tingel ich von Dorf zu Dorf weiter, oder möchte ich etwas Wildes erleben?

Er entschied sich für Zweiteres. "Und jetzt, mit fast 33 Jahren, kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war." Philippinen, Nordirland, Wales, Albanien, Venezuela. Jeweils in der höchsten oder zweithöchsten Liga spielte der Mittelfeldspieler. Alles angefangen hat auf den Philippinen. "Ich habe einen asiatischen Pass, weshalb die Schritte dorthin etwas einfacher waren. Ich habe gedacht, ich nehme mal ein Jahr mit. Doch es folgten Kontakte über Kontakte. Es wurde mit der Zeit zu einer Sucht", schilderte der gebürtige Bangladescher. Auf was er sich einstellen musste, wusste er nicht. Um das Niveau oder Geld ging es in allen Ländern aber nie. Die Welt wollte er sehen, neben den Trainingseinheiten versuchte er so oft wie möglich die Kulturen der Länder kennenzulernen und zu reisen. Finanziell kam er stets über die Runden und konnte vom Fußball leben.

Einladungen zur Nationalmannschaft und Trainingseinheiten um 7 Uhr morgens

Derzeit spielt Khaton in Venezuela. Hier wurde er der Mannschaft vorgestellt. Foto: privat

Die Reaktionen, als er erstmals aufbrach, waren gespalten. Die Freunde waren begeistert, die Familie besorgt. Vor allem wegen der Sicherheit. Doch das legte sich mit der Zeit. Während des Jahres auf den Philippinen durfte er einen erneuten Abstecher zur Nationalmannschaft von Bangladesch machen. Bereits die zweite Einladung. Zuvor, noch beim BV Cloppenburg, durfte er schon einen Lehrgang besuchen. Ein Länderspiel sprang nie heraus. Nur inoffizielle Spiele, ehe es Ärger mit dem Verband gab.

Nach einem Abstecher in die nordhessische Heimat führte der Weg nach Nordirland, schließlich blieb er im Vereinten Königreich und ging nach Wales. Über Albanien grüßt Khaton derzeit aus Venezuela. Bei Rayo Zuliano ist er seit wenigen Wochen angekommen. Der Club belegt Platz eins der Gruppe B in Zweiten Liga, die Aufstiegschancen sind hoch. Noch durfte der 32-Jährige kein Spiel machen, die Spielgenehmigung fehlt. Doch schon nach wenigen Wochen kann er ein positives Fazit bei seiner aktuellen Station ziehen. Die Trainingseinheiten finden aufgrund der warmen Temperaturen täglich um 7 Uhr morgens statt. "Ich hab den Rest des Tages also viel Zeit und erkunde das Land, ehe abends noch eine Einheit im Fitnessstudio ansteht. Es ist besonders hier, täglich gibt es Stromausfälle." Khaton ist der einzige Nicht-Venezuelaner im Team, zugleich aber auch der erste Südostasier, der in einer südamerikanischen Profiliga spielt.

Waffen beim Training und die große Liebe

Wie besonders es in Venezuela ist, wird ebenfalls deutlich, wenn plötzlich bei den Trainingseinheiten Securitys mit Waffen anwesend sind. Nicht ob der Spieler, sondern wegen eines hochrangigen Politikers, der ein großer Gönner des Vereins ist. "Da habe ich beim ersten Mal nicht schlecht geschaut, da ich nicht wusste, was gerade passiert", blickt der Wahl-Nordhesse zurück. "Ansonsten ist zu spüren, dass viele Spieler egoistisch denken. Jeder möchte am liebsten raus und in Europa Fußball spielen. Alle kommen aus armen Verhältnissen."

Die Eindrücke möchte Khaton dennoch nicht missen. Bei jeder Station nahm er Erlebnisse mit, in Wales spielte er gegen ehemalige Premier-League-Akteure – und fand im Heimatland von Champions-League-Sieger Gareth Bale seinen größten Triumph. Seine Frau lernte er kennen, mit der gebürtigen Marokkanerin möchte er endlich bald zusammenziehen. Am liebsten ab Oktober, dann endet die derzeitige Saison und der Weg soll wieder nach Deutschland führen. Dem Fußball möchte Khaton erhalten bleiben, den Trainer-B-Schein hat er schon in der Tasche. "Vielleicht – wenn wir aufsteigen – bleibe ich doch noch ein Jahr. Darüber muss ich mir Gedanken machen. Fakt ist, dass die Amateurligen in Deutschland purer Luxus gegenüber mancher Profiliga sind. Gegebenheiten, wie beispielsweise in der Hessenliga, findet man ganz selten in Venezuela. Ich habe gelernt, das Leben in Deutschland wertzuschätzen."

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