London
Baum- statt Pfostenläufe
Hendler spielte in der vergangenen Saison im Gruppenligateam von Großenlüder und schaffte am letzten Spieltag den Klassenerhalt. Seit Mitte Juli ist Hendler für ein Jahr ins Brexit-Land Großbritannien gezogen, um in einem Londoner Hostel, dem Wynfrid House in der Nähe zur Tower Bridge, sein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren.
Während er bei seiner Tätigkeit im Hostel jungen Leuten einen Platz zum Schlafen bietet, ist Hendlers fußballerische Heimat noch nicht klar definiert. Sein Debüt hat der FSJler vor kurzem für die zweite Mannschaft der Westminster Wanderers gegeben. Hendler, der noch auf der „Trylist“ steht, also eine Art Probespieler ist, spielte über die volle Distanz als Innenverteidiger. Am Ende verlor sein Team die Begegnung mit 1:2 aufgrund der mangelnden Chancenverwertung.
Aufgrund des fehlenden Platzes in einer Großstadt wie London finden die Trainingseinheiten und Partien an wechselnden Spielstätten statt. „Natürlich existieren Sportplätze rund um London, doch diese müssen sich die Mannschaften mieten. Um Geld zu sparen, wird aus diesem Grund oft in den Grünanlagen der Stadt trainiert“, gibt der 20-Jährige Einblicke in den Londoner Amateurfußball. Für das Training im Park muss dementsprechend improvisiert werden. „Statt für die Kondition von Pfosten zu Pfosten zu sprinten, den sogenannten Pfostenläufen, rennen wir im Park von Baum zu Baum“, scherzt Hendler und spricht von Baum- statt Pfostenläufen. Für das Abschlussspiel, das natürlich auch in Großbritannien nicht fehlen darf, müssen zwei Hütchen als Tore herhalten. Ansonsten ist die Struktur des Trainings ähnlich wie in der hiesigen Region. „Im ersten Training haben wir ein Lauf-ABC, Stabilitätsübungen, Passübungen und zum Schluss ein Spiel gemacht. Am Ende war ich aber fix und fertig“, muss Hendler gestehen. Der Tatsache geschuldet, dass die Trainingseinheiten im Park stattfinden, sind die Abläufe rund ums Training total anders.
Von Kinderbeinen an geht Hendler seiner Leidenschaft, dem Fußball, nach und weiß um die festen Abläufe im deutschen Amateursport. Tasche packen, zum Trainingsplatz fahren, trainieren, im Vereinsheim duschen, danach noch ein Bier mit der Mannschaft trinken und im Anschluss wieder ins traute Heim fahren. Kaum vorzustellen, dass jedes Training an einem anderen Platz stattfindet, keine Duschen zur Verfügung stehen und die Mitspieler nach der Trainingseinheit sofort das Weite suchen. Doch genau das ist der fußballerische Alltag in einer Großstadt wie London.
„Alle Mannschaften trainieren im Park. Ich fahre also umgezogen zu der Grünanlage, trainiere und fahre danach wieder geschwitzt nach Hause. Wenn du nicht mit Mitspielern U-Bahn fährst, trennen sich danach schnell die Wege. Das ist auch der Grund, warum das Kameradschaftsgefühl fehlt. Außerhalb des Platzes wird nur sehr wenig unternommen“, bedauert Hendler, der dennoch durch den Sport neue Freunde gewinnen konnte.
Vereine in London besitzen keine Heimstätte
Die Begegnungen in der Londoner Amateurliga, der Southern Sunday Football League, das mit dem hiesigen Niveau der Kreisoberliga/A-Liga verglichen werden kann, werden natürlich auf Sportplätzen ausgetragen. Da aber nicht immer derselbe Sportplatz gemietet werden kann, finden die Partien an wechselnden Orten statt. „Durch die weiten Fahrten zu den Sportplätzen und der Tatsache geschuldet, dass der Verein keine Heimstätte hat, kommen kaum Zuschauer zu den Spielen“, stellt der Abiturient fest und vermisst im Vergleich zur Gruppenliga die aufkommende Stimmung von außen. Generell besitzen im Londoner Amateurfußball andere Tugenden Priorität. „Das Körperliche ist am wichtigsten. Ballgewinne werden fast wie ein Tor gefeiert, weshalb die Taktik eher in den Hintergrund rückt. Darüber hinaus sind die Strukturen eher auf Spaß ausgelegt“, stellt der gebürtige Hainzeller nach seiner ersten Begegnung mit den Wanderers fest.
Mit den Westminster Wanderers hat sich Hendler für einen ganz besonderen Verein entschieden. Der Fußballclub besitzt vier Mannschaften und wirbt damit, Fußballern aus allen Schichten in den eigenen Reihen zu haben. „Der Verein ist offen für alle Leute. Der erste Eindruck ist sehr positiv. Ich habe das Gefühl, dass ich dazugehöre“, frohlockt Hendler, bedauert aber dafür, dass es sehr schwer ist, in die erste Mannschaft zu kommen. „Das ist ein eingeschworener Haufen, der zu großen Teilen aus Einheimischen besteht“, gibt der 20-Jährige zu Protokoll. „Die kommen übrigens aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Du spielst mit Leuten zusammen, die für den Premierminister Boris Johnson oder der englischen Version des Supertalents, Britain’s Got Talent, arbeiten. Das ist schon verrückt.“ Das ist auch der Grund, warum der Verein mit den besten Trikots im Londoner Amateurfußball und außergewöhnlichen Mannschaftsfahrten wirbt. Spieler, die in hohen Positionen sind, knüpfen für den Verein Connections, wie die Partnerschaft mit Adidas. In den Genuss, ein solches Trikot zu tragen, kam Hendler aber noch nicht.
Es gibt demnach auch viele Gründe für Hendler, den Amateurfußball in London zu schätzen. Auf eine warme Dusche nach dem Training, eine deutsche Bratwurst und ein Bier nach dem Spiel freut sich der Teutone aber dennoch mit Blick auf die Heimkehr im kommenden Jahr.
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