Dieter Lindner: Benjamin und Retter

23. Dezember 2024, 13:36 Uhr

Voller Einsatz: Dieter Lindner (r.) beim 2:0-Sieg 1971 gegen Kickers Offenbach. IMAGO/Ferdi Hartung © imago sportfotodienst

Zum Tod von Dieter Lindner: Eintracht-Legende der Meisterelf von 1959

Als Dieter Lindner, der am Sonntagabend nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 85 Jahren gestorben ist, zum ersten Mal die Eintracht, seine Eintracht, rettete, war er nicht austrainiert und hatte ein paar Kilos zu viel auf den Rippen. Es war im Winter 1971 und es war ein gewagter Plan, den der damals nur zwei Jahre ältere Trainer Erich Ribbeck gemeinsam mit der Führungsetage ausgeheckt hatte: in größter Not, denn die Eintracht, damals eines der jüngsten Teams der Bundesliga, schwebte in akuter Abstiegsgefahr, Tabellenletzter nach der Hinrunde (11:23 Punkte), also wurde Dieter Lindner reaktiviert, er hatte seine Karriere ein halbes Jahr zuvor längst beendet.

Lindner, geboren in Breslau, hatte im Alter von 31 Jahren die Schuhe an den Nagel gehängt. Er wurde dringend im Familienbetrieb gebraucht, einer Großgärtnerei in Nieder-Erlenbach. Doch als sein Herzensverein rief, kehrte Lindner zurück. Und wie: Er half mit seiner Routine dem trotz Grabowski, Hölzenbein, Nickel verunsichertem Team, er stabilisierte als kopfballstarker Innenverteidiger die Abwehr und erzielte am drittletzten Spiel einen Treffer zum 3:2-Sieg (nach 0:2-Rückstand) gegen Rot-Weiß Essen, seinem einzigen Treffer in dieser Krisensaison.

Und er war eine Woche später dabei, als die Frankfurter auf dem Bieberer Berg den entscheidenden Schritt zum Klassenerhalt taten, einem 2:0-Sieg gegen Kickers Offenbach, mit Folgen: Die Eintracht blieb drin, die Kickers nicht.

Und er ließ seinen Klub auch Jahrzehnte später nicht im Stich, auch da war die Not groß: 1996, Abstieg, zweite Liga. Der schillernde Präsident Matthias Ohms hatte den Bettel hingeworfen, auch Schatzmeister Joachim Erbs suchte das Weite, die Eintracht war führungslos. Dieter Lindner, zuvor schon im Verwaltungsrat tätig, sprang erneut ein, führte Interimsweise für ein knappes halbes Jahr den Klub, ehe Rolf Heller und kurz darauf Schatzmeister Gaetano Patella die Bühne betraten.

Es waren chaotische Zeiten damals am Riederwald, sportlich zweitklassig, wirtschaftlich schwachbrüstig, gesellschaftlich weitgehend unten durch - mit dieser Eintracht konnte man sich nicht profilieren. Lindner, ein eher leiser, freundlicher, bodenständiger Geschäftsmann, tat sich diesen Tort dennoch an, selbst als interne Kritiker ihm die Arbeit nicht gerade erleichterten. Nach fünf Monaten zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück, er engagierte sich im Verwaltungsrat, war auch mal Vizepräsident, zudem im Ehrenrat und lange Zeit Sprecher der Meistermannschaft von 1959 - bis 2017, als langsam das große Vergessen begann und sich Lindner aus der Öffentlichkeit mehr und mehr zurückziehen musste.

Dieter Lindner war Eintrachtler durch und durch, der Zeit seiner Karriere nur für diesen Klub spielte, zu dem er mit 15 Lenzen kam. Mit 17 debütierte er in der ersten Mannschaft, im Februar 1957 spielte er in der Oberliga Süd gegen Jahn Regensburg und legte gleich einen Treffer auf. Anfangs spielte er im Sturm, auf den Flügeln, mit zunehmendem Alter ging er immer weiter zurück, am Schluss gab er den Libero. Vor allem war Dieter Lindner lange Zeit der Benjamin: Er war der Jüngste, der 1959 die bislang einzige Deutsche Meisterschaft errang (mit einem 5:3 gegen Kickers Offenbach), er war mit 21 Stammkraft der Europapokalmannschaft, die 1960 erst von Real Madrid gestoppt wurde. Lindner, längst Ehrenspielführer, bezeichnete dieses Finale einmal als „wichtigstes Spiel der deutschen Nachkriegszeit seit dem 54er-WM-Sieg. Der Name Eintracht Frankfurt wurde dadurch international zu einem Begriff.“ Von diesen Eintracht-Legenden 59/60 leben jetzt noch Egon Loy, Dieter Stinka, Istvan Sztani.

Sein vielleicht bestes seiner 435 Pflichtspiele für die Eintracht machte er im Halbfinal-Hinspiel gegen Glasgow Rangers, wie er einst selbst sagte. Zwei Tore und zwei Vorlagen steuerte er zum grandiosen 6:1-Erfolg bei. Im Rückspiel in Glasgow stellte sein frühes Traumtor schnell die Weichen auf Sieg. Er gehörte auch zu jenen Spielern, die 1963 den Start der Bundesliga als Aktiver erlebten. In der Bundesliga spielte er noch 189 Mal, bis 1971 - bis ihn Erich Ribbeck zurückholte.