Union Berlin ist wieder eisern
Vor etwas mehr als einem Jahr reiste der sich gerne anders gebende Kultklub aus dem Osten Berlins zum Pflichtspiel nach Madrid, Real Madrid. Champions League, mit Hymne, feinem Klubanzug, viel Pling, Pling, und im Grunde mit allem, was eingefleischte Eiserne aus Köpenick nicht so furchtbar dufte finden. Es war die Zeit, da der 1, FC Union Berlin die Früchte genießen wollte für eine zuvor formidable Saison, in der sie sich aber am Ende beinahe komplett verloren hatten, vor allem ihren inneren Kompass. Wer da über den Platz lief, das war nicht Union, war nicht das Original, das war eine erstaunlich verkehrt eingekaufte Ansammlung teils alternder Stars (Leonardo Bonucci), die nicht zur DNA in der Alten Försterei passten (Fofana, Kral, Sheraldo Becker) und von einem Trainer (Nenad Bjelica) angeleitet wurden, der kaum Zugang zu den Spielern fand - was nach fünf erfolgreichen Jahren unter Trainer-Ikone Urs Fischer auch schwer war.
Immerhin wurde der Abstieg verhindert. Bo Svensson, der seinen Job beim FSV Mainz im November 2023 aus Vereinstreue und freien Stücken tränenreich aufgegeben hatte, übernahm, zudem löste Horst Heldt, beim morgigen Gegner Frankfurt kein Unbekannter, Oliver Ruhnert als Geschäftsführer Sport ab. Ruhnert arbeitet jetzt wieder als Chefscout. Und wie es scheint, hat der Däne Svensson, 45, im wilden Osten Berlins genau das Biotop gefunden, das er auch in Mainz gebraucht hatte, um mit seiner Art Erfolg zu haben. In Mainz, seinerzeit im Januar 2021 praktisch abgestiegen, hatte er eine völlig verunsicherte Mannschaft zurück aufs Gleis gestellt, in Berlin ist ihm („Ich kann mich mit Union identifizieren“) dies, so weit man das nach sieben Spieltagen sagen kann, ebenso gelungen. Union Berlin ist wieder bei sich, ist zurück in der Spur, die Urs Fischer einst vorgegeben hat: Union spielt wieder eklig, unangenehm, sie kratzen und beißen, und keine Mannschaft will besonders gerne gegen Union spielen. Dazu hat Svensson, während des Spiels Rumpelstilzchen an der Seitenlinie, den richtigen Ton in der Kabine gefunden. „Er muss nicht jeden Tag alles kommentieren“, sagt Abwehrchef Kevin Vogt, dem unlängst, beim 2:1 gegen Borussia Dortmund, erstmals nach zehn Jahren ein Tor gelungen war.
Union Berlin ist wieder Union Berlin, ist wieder bei sich. Und das bedeutet: Kein Spieler nimmt sich zu wichtig, auch das war in der vergangenen Horrorsaison anders. „Es gibt niemand, der einen Kilometer weniger läuft, weil er meint, er wäre größer als das Team“, sagt Vogt und rühmt die neu gefundene Geschlossenheit. Dazu wirkt das Team, aktuell Tabellenfünfter, deutlich fitter, weswegen permanent gepresst werden kann.
Zurück zu den Grundtugenden heißt auch: Hinten dicht halten. Über Jahre, sagt Stürmer Benedict Hollerbach, sei Union stolz darauf gewesen, „gerne zu verteidigen und Situationen, in denen es eng wird, auszuhalten.“ Allerdings, auch das ist anders als letztes Jahr, nutzen die Abwehrleute nun Gelegenheiten nach vorne zu spielen. „Letztes Jahr haben wir wahnsinnig passiv verteidigt und uns nur noch hinten reingestellt“, irgendwann sei man in den eigenen Strafraum gedrückt worden, „wie beim Handball“. Vier Gegentore haben die Berliner bislang nur geschluckt, auch dank des überragenden Torwarts Frederick Rönnow, einst bei Eintracht Frankfurt im Tor.
Alle schießen Tore
Sinnbildlich für die Wiederkehr alter, zuletzt verschütt gegangener Union-Werte steht Tom Rothe, ein 19 Jahre alter Neuzugang aus Kiel, der den sehr überstürzten Abgang von Robin Gosens, zwei Stunden vor Spielbeginn, aufs allerbeste kompensiert hat. Rothe, blonder Powerpack über links, ist mit zwei Treffern gar bester Schütze der Berliner, deren acht Tore bislang von sieben verschiedenen Profis erzielt wurden. Noch so ein Vorteil: Berlin ist im Angriff (ohne echten Mittelstürmer) unberechenbar. Und trotzdem äußerst effektiv.