Laura Freigang: „Ich mag es, hinter der Kamera zu verschwinden“

23. Dezember 2024, 12:10 Uhr

Macht auch selbst gerne Fotos: Die Fußball-Nationalspielerin Laura Freigang beim Rollenwechsel. © IMAGO/Beautiful Sports

Laura Freigang, das Gesicht der Eintracht-Fußballerinnen über ihre Erfüllung in der Fotografie, den Traum von der Meisterschaft, den Kontakt zu den Männer-Profis und die Liebe zur Stadt Frankfurt

Frau Freigang, Sie beenden das Fußball-Jahr mit Eintracht Frankfurt als Bundesliga-Tabellenführer. Wie blicken Sie auf 2024 zurück?

Ich ziehe erst zu Silvester ein Fazit. Aber ich habe auf jeden Fall ein sehr gutes Gefühl. Da ist auch noch viel von vergangener Saison mit drin, die Bundesliga, in der wir es wieder auf einen internationalen Platz geschafft haben. Dann dieses Auf und Ab mit der Nationalmannschaft, die enttäuschenden Spiele nach der Weltmeisterschaft, aber auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele. Für mich persönlich war das ein Riesenerfolg. Ich habe das Gefühl, ich bin wieder einen großen Schritt als Person wie als Fußballerin vorangekommen.

Wie gehen Sie mit Tiefschlägen wie ihre vergebene Kopfballchance in der 119. Minute im olympischen Halbfinale gegen die USA oder dem frühen Aus mit der Eintracht in der Champions League um?

Das Ende des olympischen Halbfinals war einer der bittersten Momente in meiner Karriere. Solche Momente sind wie eine Münze, die in die eine oder in die andere Richtung kippen kann. Da fragt man sich: Warum geht der Ball nicht einfach mal rein? Mit der Bronzemedaille war es trotzdem ein positiver Abschluss. Für mich persönlich war die Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren ein schwieriges Thema. Dieser Moment und das Aus in der Champions League haben mich aufgerüttelt, da habe ich gewusst, ich möchte jetzt aus dem Loch, ich ziehe mich da raus.

Wie?

Für viele war die Zeit beim Miniturnier auf Island bestimmt nicht einfach. Aber es war sehr ruhig, und ich habe es genossen, einfach mal weg von dem ganzen Trubel zu sein. Ich war fast froh, dass es kalt war, dass ich mich einkuscheln, eine Mütze aufziehen und die Ruhe genießen konnte. Da habe ich gemerkt, wie diese bittere Niederlage in mir wieder Motivation geweckt hat. Im Nachgang hat mir das sehr, sehr viel Kraft gegeben. So eine Disruption, in welcher Weise auch immer, hilft dann.

Sie führen jetzt in der Bundesliga die Torjägerinnenliste an.

Ich habe das Gefühl, ich muss immer wieder neue Balancen finden. Vielleicht war ich nicht so entspannt, wie ich es brauche, um erfolgreich zu sein. Ich habe dann ein bisschen losgelassen und gleichzeitig einige Schritte nach vorne gemacht. Ich habe mich viel mit meinem Spiel auseinandergesetzt. Als die ersten paar Dinger reingegangen sind, lief es einfach.

Unterstützt Sie jemand im mentalen Bereich?

Ich arbeite seit Jahren mit einem Sportpsychologen zusammen. Manchmal jede Woche, manchmal zwei, drei Monate gar nicht, je nach Bedarf. Mir hilft es aber auch, den Kopf vom Fußball abzuschalten. Viele Projekte mache ich auf eigene Faust. Ich habe ein Studio im Atelier Frankfurt, einen Raum, um meine ganzen kreativen Sachen umzusetzen.

Welche sind das?

Ich habe darin ein kleines Fotostudio, mein Büro, die Nähmaschine von meiner Oma. Für mich ist das ein Raum, in dem ich alles machen kann, ohne dass abends alles bei mir zu Hause auf dem Küchentisch herumliegt.

Sie sind das Gesicht der Eintracht. Wie schwierig ist es, mit Drucksituationen umzugehen, wenn man das Gefühl hat, dass sich der Fokus der Öffentlichkeit immer auf Sie richtet?

So nehme ich das gar nicht wahr. Ich habe das Gefühl, das ist alles sehr organisch: ich innerhalb der Mannschaft, wir als Team. Mir ist wichtig, dass wir sportlich performen. Was drumherum passiert, ist losgelöst vom Fußball. Ich bin sehr dankbar, dass meine Wahrnehmung so positiv ist, aber ich will in erster Linie als Sportlerin wahrgenommen werden, und manchmal habe ich mich gefragt, ob sich noch jemand dafür interessiert, wie ich spiele. Gerade nach den Turnieren mit der Nationalmannschaft, bei denen ich nicht viel Spielzeit hatte, aber trotzdem viel Aufmerksamkeit, war es für mich nicht einfach, mein Selbstbild intakt zu halten. Aber ich denke, da habe ich einen guten Weg gefunden.

Nur zu Elfmetern treten Sie nicht mehr an.

In der vergangenen Saison habe ich fünf Elfmeter in Folge getroffen, aber zwei wichtige nicht: beim Aus in der Champions League und im Pokal-Halbfinale. Das ist dann im Kopf, und da dachte ich mir, ich knalle gegen Potsdam einen rein, und damit hat sich die Sache erledigt. Aber der ging auch nicht rein, und da habe ich mir gesagt, ich muss meine persönlichen Probleme mit elf Metern nicht auf dem Rücken der Mannschaft austragen. Dann schießt halt einfach jemand anderes. Ich schieße meine Elfmeter noch immer regelmäßig nach dem Training, und ich kann das auch. Das nächste Mal, wenn ich mich gut fühle, werde ich mir auch wieder einen Ball nehmen.

Also keine Angst vorm Elfmeter. Aber vielleicht vor Verletzungen? In diesem Jahr haben sich vier Frankfurterinnen einen Kreuzbandriss zugezogen. Wie gehen Sie mit diesem Risiko um, das erwiesenermaßen bei Frauen höher als bei Männern ist?

Ich glaube, Angst zu haben, hilft da nicht. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Natürlich ist es extrem wichtig, dass wir im präventiven Bereich sehr fleißig sind, aber selbst damit kannst du es oft nicht verhindern. Alle Spielerinnen, die sich bei uns das Kreuzbandriss gerissen haben, sind sehr gut damit umgegangen oder gehen damit gut um. Wir haben die verletzten Spielerinnen dann gerne bei uns. Wir sind für sie da. Wir haben ein gemeinsames Gebäude, in dem auch die Reha-Spielerinnen sind. Du musst mit dieser Realität leben können.

Das letzte Mal war der 1. FFC Frankfurt 2008 deutscher Meister: Wie sehen Sie die Chancen?

Uns ist bewusst, wie groß die Chance ist. Aber wir hatten diese Situation schon häufiger, dass an einem bestimmten Punkt darüber gesprochen wurde, ob das jetzt die Saison ist, in der wir oben angreifen. Natürlich ist der Titel ein Traum, und er ist nicht so weit weg. Aber Machen hat Priorität.

In der Nationalmannschaft spielen Sie unter dem neuen Bundestrainer Christian Wück eine größere Rolle. Was erwarten Sie vom kommenden Jahr?

Ich freue mich schon seit dem vergangenen Jahr auf die Europameisterschaft in der Schweiz. Da möchte ich unbedingt hinfahren. Dann könnten meine Eltern zu allen Spielen kommen und auch viele Freunde. Ich tue mich noch schwer damit, meine Rolle in der Nationalmannschaft zu benennen, aber das wird sich in den nächsten Lehrgängen herauskristallisieren. Wir haben eine junge Mannschaft und mit viel Ausprobieren viele gute Ansätze gezeigt. Bei Olympia, das war eher Kampffußball. Jetzt wollen wir den Ball haben und ihn laufen lassen. Wir wollen viel spielen, das macht mir Spaß.

Bundestrainer Wück sagt, Laura Freigang braucht die Freiheit zum Toreschießen. Spüren Sie diese?

Ich bin ein spezieller Spielerinnentyp, der eine spezielle Situation braucht, um funktionieren zu können. Die Position, die ich jetzt bei der Nationalmannschaft habe, kommt dem um einiges näher als früher. Ich werde so wahrgenommen, wie ich meine Stärken auch selbst einschätze, und das gibt mir mehr Selbstvertrauen. Vor dem Länderspiel gegen die Schweiz war es angenehm, die Rückmeldung zu bekommen: Mache einfach dein Spiel, bewege dich zwischen den Räumen, geh‘ nach vorne. Das ist das, was ich am besten kann. Darauf habe ich lange gewartet.

Die Nationalmannschaft begleiten Sie auch als Fotografin. Wie wird das eigentlich von Mitspielerinnen aufgenommen?

Ich werde ja selbst viel fotografiert und habe deswegen, glaube ich, ein ganz gutes Gefühl dafür, wann es angebracht ist und wann nicht. Priorität Nummer eins ist, dass sich niemand unwohl fühlt. Ich teile natürlich die Bilder mit den Mädels. Ein paar konnte ich schon für die analoge Fotografie gewinnen. Bevor ich ein Fotobuch veröffentliche, spreche ich mit allen. Die meisten vertrauen mir. Es ist auch sehr natürlich geworden, und alle wissen, dass sie bloß nicht in die Kamera gucken sollen. Eigentlich möchte ich eine ‚Frau Unsichtbar‘ sein.

Ist es ein Tabu, nach einer Niederlage draufzudrücken?

Wenn wir verloren haben, bin ich selbst enttäuscht, und dann hole ich die Kamera nicht raus. Ich mache Fotos, wenn ich mich danach fühle, und es gibt viele Momente, da ist das nicht der Fall. Ich bin an erster Stelle die Sportlerin, und Fotografie ist ein Hobby.

Gehen Sie das Fotografieren jetzt anders an als zu Beginn?

Am Anfang habe ich nur spontan abgedrückt. Jetzt setze ich mich mehr damit auseinander. Ich habe Bücher dazu gelesen. Das ist eine halbe Wissenschaft. Früher hatte ich nur eine Klickkamera. Jetzt habe ich auch welche, bei denen alles manuell eingestellt wird. Da musst du schon einiges wissen. Am Anfang habe ich nach zwei Monaten eine Rolle abgegeben und jetzt gefühlt jede Woche. Im Labor sagt man mir, man merkt, dass ich anders als früher fotografiere.

Was ist daran so reizvoll?

Ich mag es, hinter der Kamera zu verschwinden. Ich stehe sonst oft im Zentrum, und ich liebe es an der Fotografie, dass ich mich aus dieser Rolle herausziehen und mich verstecken kann – wie im Raum zu verschwinden. Wenn ich fotografiere, geht es einfach nur darum, was ich sehe, ohne dass es um mich gehen muss. Der Fußball ist teilweise ein Korsett, das man sich anziehen muss, und es ist gut für mich, dass ich zwischen dem Sport und dem Kreativen hin und her switchen kann. Diese beiden Welten helfen mir total, die eine ist ein Ausgleich für die andere.

Von wem lernen Sie beim Fotografieren?

Die Fotografen-Community ist schon cool. Wenn wir selbst Fototermine haben, schaue ich Ihnen über die Schulter oder stelle mal eine Frage. Ich habe auch die vier, fünf Fotografen aus dem Olympia-Team Deutschland im Deutschen Haus kennengelernt, von denen einige ja auch analog fotografieren. Manchmal hat man auch keine Filme mehr und muss sich welche leihen (lacht).

Ist das auch etwas für die Zeit nach der Karriere?

Ich halte mir das als Möglichkeit auf jeden Fall offen. Ich fahre gut damit, außerhalb des Fußballs das zu tun, was mir Spaß macht und dabei zu schauen, wohin mich es führt. Ich hatte zwischenzeitlich mal gedacht, ich werde Athletiktrainierin – das glaube ich jetzt nicht mehr (lacht).

Sie haben Ihr Studium der Sportwissenschaften abgebrochen.

Wenn mich eine Sache nicht abholt, ist es ein einziger Krampf – und so verlief das Studium. Ich hatte das Gefühl, ich lerne nicht wirklich viel und mache das nur, um einen Abschluss zu erhalten. Mich hat das am Ende nur noch gestresst. Präsenz war auch mit den veränderten Trainingszeiten und den vielen Reisen der Nationalmannschaft nicht mehr umsetzbar.

Man hat Sie bei der Eintracht häufiger in Videos mit Keeper Kevin Trapp gesehen. Wie oft gibt es im Alltag auf dem ProfiCamp zwischen Frauen und Männern denn einen Austausch?

Wenn man sich begegnet, ist das wirklich sehr angenehm. Ich finde den Austausch immer super. Es liegt auch an uns, dass wir hier die Eigeninitiative ergreifen. Wir sind in unterschiedlichen Gebäuden, also laufen wir uns im Trainingsalltag selten über den Weg. Gerade diese Saison sind die Jungs ja viel unterwegs. Ich finde es jedes Mal gut, wenn sich diese oft sehr getrennten Welten ein bisschen überschneiden. Wir machen denselben Sport, haben ähnliche Ziele.

Es ist diese Saison aber vom Klub gar nicht geplant, dass die Frauen in der Arena spielen.

Wir haben im vergangenen Jahr – gerade in der Champions League – sehr viele Spiele dort absolviert. Für mich persönlich war das immer ein sehr schönes Gefühl. Das einzufordern, halte ich aber für unangebracht.

Die Eintracht ist eine treibende Kraft beim Prüfauftrag, wie ein selbst tragfähiges Ökosystem für die Frauen-Bundesliga aussehen könnte. 2030 sollen beispielsweise dann 20 000 Zuschauer im Schnitt kommen. Wie realistisch sind solche Ziele?

Der wichtigste Punkt ist ein gemeinsamer Kurs und ein gemeinsamer Wille zur Veränderung. Ich finde den Impuls sehr gut, dass man sich zusammen an einen Tisch setzt und festlegt, wie Ziele erreicht werden können – dafür müssen alle Vereine dahinterstehen. Wir Spielerinnen wurden teilweise bereits eingebunden: Je mehr Perspektiven zusammenkommen, desto besser.

Sie tragen ihre Frankfurter Verbundenheit auch mit einem Tattoo – die Vorwahl 069 auf dem Oberarm – offen nach außen. Was steckt dahinter?

Diese Liebe hat sich einfach entwickelt. Das fühlt sich natürlich und richtig an, und deshalb bin ich auch voll bei der Sache. Ich hätte es nie gedacht, dass ich mal eine solche Verbindung zu einem Verein spüre. Ich bin halt auch in der Nähe aufgewachsen, fühle mich der Region sehr verbunden. Ich mag die Internationalität, das Multikulturelle. Frankfurt ist ein großes Dorf. Immer genug los, dass es spannend ist – aber auch nicht so viel los, dass es anstrengend ist. Ich mag die Mannschaft, mit vielen Spielerinnen spiele ich schon ewig zusammen. Dazu habe ich einen Trainer, der seit Jahren auf mich setzt. Da kommen viele Faktoren zusammen, die für mich ein perfektes Umfeld bilden.

Und deshalb haben Sie in diesem Jahr den Vertrag verlängert?

Ich wollte in Deutschland bleiben. Es liegt mir auch am Herzen, die Bundesliga voranzubringen. Ich finde wichtig, dass Identifikationsfiguren im Land bleiben. Ich hatte auch kein Bedürfnis, ins Ausland zu gehen. Und wir sind mit Frankfurt viel zu nah oben dran, als dass ich eine Intention gehabt hätte, zu einem Bundesliga-Verein zu gehen, der in den vergangenen Jahren Titel gewonnen hat. Ein Titel mit Eintracht Frankfurt würde mir mehr bedeuten als fünf Titel mit einem anderen Klub. Ich bin den ganzen Weg schon vor der Fusion mitgegangen – diese Verantwortung gibt man nicht einfach ab.

Sie haben immerhin in den USA studiert, bevor Sie nach Frankfurt kamen. Wäre das irgendwann keine Option?

Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann noch einmal woanders zu spielen. Ich finde spannend, wie sich die US-Liga entwickelt. Ich würde das niemals ausschließen, aber die nächsten zwei Jahre kommt das nicht infrage.

Zur Person Laura Freigang , 26, ist in Kiel geboren, aber in der Nähe von Mainz aufgewachsen. Über ein Sportstipendium spielte sie zunächst in den USA, ehe ihr mit dem Wechsel zum 1. FFC Frankfurt 2018 der Sprung in den Profibereich gelang. Mittlerweile gilt sie als das Gesicht von Eintracht Frankfurt und eine der bekanntesten Fußballerinnen in Deutschland. Aktuell ist die Offensiv-allrounderin mit elf Treffern die beste Torjägerin der Bundesliga und hat in 34 Länderspielen 14 Tore erzielt. FR

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