Irres Saisonfinale zwischen Kerzell und Lütter

09. Februar 2023, 07:54 Uhr

Friedel Breitenbach (hier auf den Schultern seiner Spieler) trainierte und formte den starken Kerzeller Jahrgang bereits im Jugendbereich. © privat

Eine der spannendsten Titelentscheidungen, die der heimische Fußball jemals erlebt hat, jährte sich 2022 zum 50. Mal. Was die TSG Lütter und die SG Kerzell 1971/1972 im Rennen um die Meisterschaft der B-Klasse III boten, war an Dramatik kaum zu überbieten.

Schon während der normalen Punktrunde knisterte es. Beide Vereine waren ständig eng beieinander, leisteten sich kaum Ausrutscher. Die direkten Duelle entschieden TSG Lütter (4:1) und SG Kerzell (2:0) jeweils in den Heimspielen für sich. Am Ende hatten beide Seiten 42:10-Punkte – ein Entscheidungsspiel musste Klarheit um den Titel schaffen.

„Lütter hatte damals den Vorteil, dass sie viele erfahrene Spieler in ihren Reihen hatten, während wir eine ganz junge Mannschaft waren. Das hat letztlich den Ausschlag gegeben“, sagt der Kerzeller Lutz Wehner, der damit auf gegnerische Spieler wie Emil Brehl (damals 35), Ottmar Weber oder Herbert „Mocki“ Wegehenkel anspielte. Wegehenkel beispielsweise war vorher eine feste Größe zu Glanzzeiten bei Borussia Fulda.

Irres Saisonfinale zwischen SG Kerzell und TSG Lütter

Im Mai 1972 trafen sich die Teams in Eichenzell zum Entscheidungsspiel. Damals wurde noch an der Von-Galen-Schule gespielt, dort wo sich der heutige Kunstrasen in Eichenzell befindet. 850 Zuschauer wurden Zeuge eines Dramas. „Ich erinnere mich noch ganz genau“, betont Kerzells Spieler Fritz Atzler. „Wir waren vorher alle gemeinsam im Dorfgemeinschaftshaus essen, hatten neue Trainingsanzüge bekommen und sind gemeinschaftlich in Eichenzell eingelaufen. Das war zu dieser Zeit nicht üblich“, sagt Atzler schmunzelnd.

Der damalige Kerzeller Obmann Friedel Breitenbach fügt an: „Man muss ja die Zeiten bedenken: Wir hatten damals mit Andre Bunjes zum ersten Mal überhaupt einen Trainer, waren selbst gerade erst an unser heutiges Gelände umgezogen. Vorher haben wir bis 1970 an der Waldbühne am Steinberg gespielt.“

Es sollten 120 Minuten mit allen Gefühlslagen werden. Bis eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit lag die junge Mannschaft der Helvetia 2:1 vorne und war kurz davor, den Titel zu holen. Dann glich Lütter aus. Die Führung in diesem Spiel schwappte hin und her. Am Ende stand ein 3:3 nach Verlängerung. Da es in dieser Zeit noch kein Elfmeterschießen gab, musste das Spiel erneut angesetzt werden.

Vier Tage später traten Kerzell und Lütter erneut in Eichenzell an. Diesmal kamen sogar 1000 Zuschauer, wobei damalige Schätzungen von einer deutlich größeren Kulisse als der offiziellen angegeben Besucherzahl ausgingen. Auch diesmal stand das Spiel spitz auf Knopf, bis zur letzten Sekunde war das Match offen. Am Ende setzte sich Lütter dank seiner Routiniers knapp mit 2:1 durch und war Meister, auch weil die Kerzeller ihre Chancen zum möglichen Ausgleich mehrmals knapp verpassten.

Kerzell startete ein Jahr später durch

Kurios: Lütter wechselte danach den Trainer und Ferdinand Kolb, der weiterhin für FT Fulda spielte, übernahm das Kommando von Gerold Schmitt. Dennoch stieg Lütter nur eine Saison später wieder aus der Kreisoberliga Süd (damals A-Klasse Süd) ab. Kerzell dagegen holte das Versäumte schon 1972/1973 nach, wurde nun mit vier Punkten Vorsprung B-Klassen-Meister vor dem SV Schweben und startete damit die Erfolgsgeschichte des Vereins. Seit jenem Aufstieg 1973 spielt die SG Kerzell, mit nur einer kurzen Unterbrechung (2008 bis 2010), immer entweder auf Kreisoberliga- oder Gruppenliga-Niveau.

Lutz Wehner zum Titel: „Wir haben uns damals direkt nach dem verlorenen Entscheidungsspiel zusammengesetzt und uns sofort wieder eingeschworen.“ Und Fritz Atzler fügt an: „Das war damals noch ein bisschen einfacher, denn die Spieler waren bis auf zwei Ausnahmen alles Kerzeller Jungs. Die einzigen beiden Nicht-Kerzeller kamen aus dem Nachbarort Hattenhof und waren mit Kerzeller Frauen verheiratet. Vereinswechsel in der Form, wie man sie heute kennt, gab es damals nicht. So war die Motivation bei allen Spielern sofort wieder gegeben.“

TSG Lütter: Erich Jung; Karl Leipold, Ottmar Weber, Michael Schütz, Otto Schleicher, Paul Fladung, Emil Brehl, Reinhard Schleicher, Herbert „Mocki“Wegehenkel, Bernd Stärk, Günter Wischermann, Lothar Birkenbach, Alfred Schleicher, Storch. SG Kerzell: Hans-Karl Diederich; Alfred Hasenauer, Franz Hohmann, Lutz Wehner, Rudi Hartung, Fritz Atzler, Christian Schubert, Bernhard Wehner, Gerhard Hasenauer, Reinhold Seng, Martin Diegelmann, Bernhard Hasenauer.