„Eine Schande für den Amateurfußball“: 36:0-Sieg erhitzt die Gemüter

26. Mai 2023, 18:57 Uhr

Die Nachricht über den Rekordsieg des 1. Rödelheimer FC traf TSG-Spielertrainer Christian Balzer (rechts) wie ein Blitz. © Mithat Gürser

Torreiche Spiele sind in der Gruppe 1 der Kreisliga A Frankfurt an der Tagesordnung. Einen Spieltag vor dem Saisonende zählt die Statistik 1874 Treffer. Das sind im Schnitt pro Partie 6,3 Tore. Allein nach der Winterpause wurden bereits zwölf zweistellige Siege registriert. Neun Teams haben schon weit mehr als 100 Treffer erzielt, sieben Vereine über 100 kassiert, davon fünf sogar über 150. Ein 36:0 sucht jedoch allgemein seinesgleichen.

So hoch besiegte nämlich am vorletzten Spieltag der bisherige Tabellendritte Rödelheimer FC das abgeschlagene Schlusslicht FV Saz-Rock und zog damit im Rennen um den Relegationsplatz zur Kreisoberliga Frankfurt an der TSG 51 vorbei, die am Dienstagabend ihr Nachholspiel gegen den FC Tempo II überraschend mit 3:4 verlor und damit am letzten Spieltag am 4. Juni nur noch minimale Chancen auf Rang zwei hat.

Rekordsieg in Kreisliga Frankfurt erhitzt die Gemüter

Um das alles zu verstehen, muss man wissen, dass der bei Punktgleichheit am Saisonende maßgebliche direkte Vergleich zwischen Rödelheim und der TSG 51 unentschieden ausfällt. Man trennte sich 2:2 und 4:4. Und somit käme als nächstes Kriterium die Tordifferenz zum Tragen. Hier lagen die „51er“, deren Spiel aufgrund eines Trauerfalls beim Gegner um zwei Tage verschoben wurde, am Sonntag noch mit 15 Toren Vorsprung vorne. Nach dem unfassbaren 36:0 der Rödelheimer waren es plötzlich 21 Treffer Rückstand. Das rekordverdächtige Resultat ließ die Summe an Gegentoren des nur einen Punkt aufweisenden Tabellenletzten auf sage und schreibe 263 ansteigen. Schon in der letzten Saison, als Saz-Rock mit immerhin zwölf Zählern aus der Kreisoberliga abstieg, hatte der seit 1981 existierende Fußballverein schon 204 Gegentreffer erhalten. Saisonübergreifend kommt der an der Mühlwiese beheimatete Verein also auf sage und schreibe 467 (!) Gegentore in zwei Jahren, diverse 0:3-Wertungen mit einbegriffen.

Teil des Kaders war da übrigens noch der in der Region Fulda verwurzelte ehemalige Verbandsliga-Spieler Osman Özlük. Wie konnte es also zu diesem exorbitant hohen 36:0 zu kommen? Saz-Rock ist im Laufe der Runde schon zweimal nicht angetreten und hatte auch vor dieser Begegnung Personalprobleme. Spielen musste man aber, da ein dritter Nichtantritt das Aus und damit den Abstieg bedeutet hätte. Damit hatte man angesichts dieser desaströsen Bilanz ohnehin gerechnet, bis die eigentlich gerettete TSG Nieder-Erlenbach am 15. Mai fristgerecht einen Antrag auf freiwilligen Abstieg in die B-Klasse stellte. Eine Klasse tiefer sei der Drittletzte besser aufgehoben, denn man erhoffe sich in der B-Liga mehr Erfolgserlebnisse, wie der Nieder-Erlenbacher Vorstand mitteilte.

Was der Schießbude der Liga nun unverhofft die Teilnahme an der Relegation mit einem A-Liga-Vertreter der Parallelstaffel und den beiden Vizemeistern der B-Liga-Staffeln beschert. Der Clou: Drei von vier Teilnehmern qualifizieren sich für die kommende Spielzeit in der A-Klasse. Steigt der Vizemeister der Kreisoberliga (SG Bornheim/Grün-Weiß II) über die Aufstiegsspiele in die Gruppenliga auf, kämen sogar alle Teams, auch Saz-Rock, durch. „Die Relegation ist ein Geschenk, welches wir unbedingt annehmen wollen“, sagte Trainer Engin Bulut, der auch Vereinspräsident ist, gegenüber der Frankfurter Neuen Presse. Folglich trommelte man eine Mannschaft bestehend aus ehemaligen Spielern der Zweiten Mannschaft, Alten Herren sowie einigen „Karteileichen“ zusammen, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr gegen den Ball getreten hatten und füllte so den Kader auf.

Christian Balzer spricht von „Betrug und Manipulation“

Sogar vier Ersatzspieler standen auf dem Spielberichtsbogen. Es stand also im wahrsten Sinne des Wortes eine Mannschaft auf dem Platz, die irgendwie auch 90 Minuten durchhalten musste, um nicht vorzeitig das Spiel abzubrechen. Denn das wäre als dritter Nichtantritt gewertet worden. Da Rödelheim so viele Tore wie möglich brauchte, nutzte der RFC die Situation verständlicherweise aus, um gegen den kaum Gegenwehr zeigenden Gegner ein Tor nach dem anderen zu erzielen. Schon nach 18 Minuten stand es 10:0, die Treffer fielen dabei ohne großen Torjubel im Minutentakt. Zur Halbzeit war Rödelheim bereits auf 20:0 davon gezogen. Auch nach dem Seitenwechsel ebbte die Torflut nicht ab, sodass nach dem Schlusspfiff ein denkwürdiges 36:0 in die Annalen Einzug erhielt. Leicht verständlich, dass den Spielertrainer des Konkurrenten TSG 51 Christian Balzer - langjähriger Spieler bei diversen Vereinen in der seinerzeit noch viertklassigen Oberliga Hessen - die Nachricht über den Mega-Kantersieg des RFC wie ein Blitz traf.

Mit 20 Toren habe er schon kalkuliert, schließlich hatte sein Team ja vor zwei Monaten Saz-Rock selbst mit 22:0 vom Platz gefegt. „Ein 36:0 ist meiner Ansicht nach unter normalen Umständen im Seniorenbereich nicht möglich“, so Balzer. Schnell war von „Betrug und Manipulationen“ die Rede: „Ich bin mir sicher, dass es da eine Absprache gegeben hat. Saz-Rock hat das Spiel verkauft. Das Resultat ist eine Schande für den Amateurfußball.“ Schwerwiegende Vorwürfe, die Bulut nicht stehen lassen kann: „Das ist eine unverschämte Frechheit. Ich habe noch nie ein Spiel verkauft, ich wüsste auch nicht wie.“

Um solche Situationen zukünftig zu vermeiden, regte Balzer an, bei unentschiedenem direktem Vergleich ein Entscheidungsspiel zwischen punktgleichen Teams anzuberaumen. Schließlich wurde die Tordifferenz ja vor vielen Jahren eben aus diesen Gründen als erstes Kriterium abgeschafft. Im Nachholspiel hätte die TSG 51 also einen Sieg mit 21 Toren Differenz benötigt, um mit Rödelheim gleichzuziehen. Was logischerweise nicht eintrat. Dass der Heimverein aber gegen den Tabellenzwölften FC Tempo II mit 3:4 verlieren würde, war so aber auch nicht zu erwarten. Der Gegner war schlichtweg nicht gewillt, sich die Bude voll schießen zu lassen. Der 49-jährige Balzer schnürte noch einmal selbst die Schuhe, traf sehenswert per Freistoß zum 1:1 und stand in einem Team mit Sohn Nils Viktor, der zum 3:3 traf. In der 85. Minute war für Balzer Senior die Partie aufgrund von Reklamationen beim Schiedsrichter mit der Zehn-Minuten-Zeitstrafe beendet.

Fortan war der Spielertrainer nicht mehr zu beruhigen. Das 36:0, bekräftigte Balzer, sei manipuliert gewesen. „Das könnt ihr so schreiben. Dazu stehe ich“, rief er grußlos den beiden anwesenden lokalen Berichterstattern zu. Der Verband und insbesondere Kreisfußballwart Rainer Nagel hätten „dies zugelassen und nichts dagegen unternommen.“ Kurz darauf markierten die Gäste das 4:3, sodass am letzten Spieltag drei Punkte und 22 Tore aufgeholt werden müssten. Eigentlich unmöglich. Nach dem Schlusspfiff verweigerte Balzer noch Tempos Trainer Dejan Dancic den Handschlag und warf dem mit der Sache nichts zu tun habenden Gegner vor, „diesen Skandal auch noch zu unterstützen“, was Dancic mit einem Kopfschütteln quittierte.   

Ein 36:0 ist meiner Ansicht nach unter normalen Umständen im Seniorenbereich nicht möglich. Christian Balzer