Christian Streich: Starkes Vorbild einer eigenen Trainerphilosophie

20. März 2024, 16:12 Uhr

Christian Streich ist eine Trainer-Legende im deutschen Fußball und verlässt im Sommer Bundesligist SC Freiburg. © dpa/Tom Weller

Christian Streich tritt bei Bundesligist SC Freiburg ab. Kolumnist Harald Lange nennt Christian Streich als Beispiel eines exzellenten Trainers mit einer lebendigen Fußballbiographie.

Christian Streich nimmt bald beim SC Freiburg seinen Hut. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um die Aufmerksamkeit auf das konkrete Beispiel eines exzellenten Trainers und die Betrachtung einer lebendigen Fußballbiographie zu lenken, um Fragen wie die Folgenden zu beantworten: Was zeichnet den „guten“ Trainer aus? Woran erkennen wir ihn? Weshalb ist er so wie er ist? Wie ist er das geworden? Wie entwickeln sich Trainer und woran sollen sie sich auf dem Weg zur Exzellenz orientieren?

Oberflächliche Antworten finden wir in den üblichen Kompetenzmodellen, aber auch im Rückgriff auf verschiedene Wissens- und Erfahrungshorizonte, beispielsweise einer abgeschlossenen Trainerausbildung, einem Pädagogikstudium oder einer mehr oder weniger erfolgreichen Spielervergangenheit im Bundesligafußball. Zu guter Letzt auch in der Offenlegung der im Fußball so wichtig gewordenen Beziehungsgeflechte und Netzwerke (Vitamin B), die so manchem begabten Trainer den Sprung in die attraktiven Jobs des Profifußballs verschaffen.

Freiburgs Christian Streich: Vorbild in Sachen Trainerphilosophie

Die in den zurückliegenden 48 Stunden veröffentlichten Würdigungen, Lobpreisungen und Persönlichkeitsanalysen zu Freiburgs Christian Streich verweisen allerdings in eine ganz andere Richtung. Große Trainer verfügen über eine geronnene Trainerphilosophie, die sich in zwei Punkten von allen anderen Trainerinnen und Trainern unterscheiden. Erstens: Sie verstehen das Spiel besser als die meisten anderen und zweitens: Sie finden immer die besten Wege, den sich ihnen anvertrauenden Spielerinnen und Spielern einen treffenden Zugang zu dieser Sicht des Spiels aufzuzeigen und zu verschaffen. Die herausragende Qualität ihres genialischen Könnens liegt in der Verbindung beider Punkte. Spielphilosophie und Trainingspädagogik müssen in eine stimmige Trainerphilosophie überführt werden. Nur so geht es, wenn man in die Sphäre der Exzellenz aufsteigen möchte.

Nachdem Jürgen Klopp Ende Januar sein Engagement in Liverpool für beendet erklärte, folgte am vergangenen Montag mit Christian Streich eine weitere Trainer-Ikone und verkündete, dass mit Ablauf dieser Saison für ihn in Freiburg Schluss ist. Die herausragende Qualität beider Trainer mag man bereits an dem Indiz festmachen, dass beide – entgegen der Gepflogenheiten in diesem Business – den Schlussstrich jeweils selbst und in völliger Harmonie ziehen.

Auch an dieser Stelle bewundern wir die beeindruckende Souveränität beider Coaches und auch hier sehe ich die Ursache in der jeweiligen Trainerphilosophie. Beide sind sich ihrer Sache sicher, können zu jeder Tag- und Nachtzeit jede Facette des Spiels ihrer Mannschaft einordnen und erläutern. Gleichzeitig sind sie in der Lage Zuhörer, Journalisten und vor allem Spieler mitzunehmen. Am Ende sind wir alle angefixt und fühlen uns abgeholt. Und bei den Spielern, Co-Trainern und Betreuern des Teams ist es wichtig, dass das Feuer für die entworfene Idee des Spiels entfacht wird und sowohl im Training wie auch am Spieltag brennt.

Christian Streich: Beeindruckende Souveränität wie Jürgen Klopp

Das Wirken von Christian Streich beim SC Freiburg erinnert an eine Kunst. Ich meine: Exzellente Trainerleistungen übersteigen sowohl die Sphäre der Wissenschaft als auch die des einfachen Erfahrungssammelns. Ich sehe den Kern genialen Trainerkönnens in einer trainingsphilosophischen Dimension. Bei Persönlichkeiten, die in der Lage sind die Sache glasklar zu sehen (ihre Spielphilosophie) und gleichzeitig jedes Teammitglied ebenso behutsam wie überzeugend anzusprechen und einzubinden (Trainingspädagogik).

Dabei ist es völlig egal, ob diese Trainer selbst einmal hochklassig gespielt haben, ob sie sich zum Laptoptrainer machen, mit wem sie welche Datenanalysen betreiben, ob sie diese Daten in manchen Phasen ignorieren oder ins Zentrum ihrer Planungen stellen. Ob sie Medizinbälle, Laufschuhe, Krafträume, Koordinationsaufgaben oder standardisierte Spielformen als Lieblingsthema ihres Trainings auserkoren haben.

Christian Streich: Trainer, der sich nicht kopieren lässt

Wichtig ist einzig und allein die Stimmigkeit im persönlichen Konzept. Gemessen am Informationsüberfluss und den unterschiedlichsten Erwartungen, die im Fußball vorherrschen, ist das eine riesengroße Aufgabe. Ein lebenslanges Bildungsthema für die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Trainerpersönlichkeit, für die ich keinen treffenderen Begriff finden kann als den der Trainerphilosophie.

Bei Christian Streich und einigen anderen habe ich den Eindruck, dass diese Stimmigkeit, in dem was sie tun, ganz wesentlich dazu beiträgt, dass sie immer dann, wenn es darauf ankommt gelassen bleiben und die richtigen Entscheidungen treffen. Auf dieser Grundlage lassen sich auch souveräne Statements in andere Felder des Lebens, der Kultur, Politik und Wirtschaft hin ableiten. Auch das gelang Christian Streich in beinahe jeder Pressekonferenz in einer faszinierenden authentischen Art und Weise.

Daher mein Rat an alle Trainerinnen und Trainer, die es zu etwas bringen wollen: Versucht erst gar nicht Klopp, Heynckes oder Christian Streich zu kopieren. Das gelingt sowie so nicht. Aber macht genau dasselbe wie diese großen Trainer: Entwickelt Eure Trainerphilosophie!

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