Damoklesschwert über dem Rasen
Auch der EM-Torschützenkönig stürmt für Lyon: der Georgier Georges Mikautadze (re.). IMAGO/Icon Sport © IMAGO/Icon Sport
Sie hätten künftig auch gegen Etoile Frejus St.-Raphael spielen können oder gegen Les Herbiers oder CO Le Puy, und zwar im Championnat de France Amateur, vierte französische Liga. In diesen Untiefen tummelt sich aktuell Girondins Bordeaux als Folge der Insolvenz, ein einstmals stolzer Klub, bei denen Bixente Lizarazu, Zinedine Zidane oder Alain Giresse in jungen Jahren spielten.
So weit unten dürfte Olympique Lyon, am Donnerstag Gastgeber in der Europa League im Spiel gegen Eintracht Frankfurt (21 Uhr/RTL) sicherlich nicht sinken - aber zweite Liga ist auch nicht schön. Genau dahin will die Finanzkontrollbehörde (DNCG) den französischen Spitzenklub verbannen, wenn er seine Finanzen nicht schleunigst in Ordnung bringt. Das ist nicht ganz einfach: Den 1950 gegründeten Klub aus der Rhone-Alpes-Region der Republik drücken horrende Verbindlichkeiten, kein Pappenstiel, um mindestens 100 Millionen Euro müssen die immensen Verbindlichkeiten gedrückt, die Lohnkosten von 128 auf 74 Millionen verringert werden - sonst wird OL im Sommer keine Lizenz erhalten und zwangsversetzt. Was womöglich auch Auswirkungen auf die sehr erfolgreiche Frauen-Mannschaft haben könnte.
Ob das so kommen wird? Non, sagt zumindest John Textor, ein US-amerikanischer Investor aus Missouri, ein ehemaliger Profiskater, der einst eine Firma für Spezialeffekte in Kino-Blockbuster führte, die etwa im Streifen „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ Brad Pitt am Computer altern ließ. Aktuell ist Textor Inhaber einer Holding namens Eagle Football Group (EFG), die die Anteilsmehrheit von gleich vier Klubs besitzt, Copa Libertadores-Sieger Botafogo (Brasilien), Crystal Palace (England, mit Oliver Glasner), RWD Molenbeek (Belgien) und eben seit 2023 auch Olympique Lyon, die eng miteinander vernetzt sind und sich die Entwicklung der Spieler zum Ziel gesetzt haben.
Viele Verkaufskandidaten
Textor wischt die Drohung der Behörde lässig vom Tisch. Allenfalls als Warnung sei das zu verstehen, falls OL den Laden nicht in den Griff bekomme, das werde er aber. Das Problem: Auch die EFG ist mit knapp einer halben Milliarde Euro dramatisch hoch verschuldet (und damit auch OL). Vermutlich wird es Querfinanzierungen geben, der 59-Jährige wird Klubanteile abstoßen müssen, klar ist: Lyon wird Spieler abgeben, womöglich schon in diesem Winter, spätestens aber im Sommer nächsten Jahres. Ohnehin ist der Kader mit bald 30 Mann aufgebläht: U-21-Nationalspieler Rayan Cherki ist ein heißer Verkaufskandidat, auch Malick Fonfana, Gift Orban, ein Mittelstürmer, um den auch die Eintracht mal intensiv buhlte, aber gleich dreimal abblitzte, und der georgische EM-Torschützenkönig Georges Mikautadze, der unlängst erst Opfer eines Raubüberfalls auf sein Haus wurde.
Inwieweit diese Gemengelage auf den Rasen abfärbt, ist schwer zu einzuschätzen. Aktuell rangiert OL nach einem 3:0-Sieg am Samstagabend gegen Angers nur auf Platz fünf, neun Punkte hinter Spitzenreiter Paris Saint Germain und vier hinter Adi Hütters AS Monaco. Im vergangenen Jahr landete Lyon in der Ligue 1 auf dem sechsten Platz. Drei Tage nach dem Frankfurt-Spiel steigt das absolute Top-Spiel in Paris zwischen PSG und OL. In der Europa League rangieren die Franzosen drei Punkte hinter der Eintracht auf Platz sieben (zehn Zähler), drei Siege, ein Remis und eine Niederlage (0:1 gegen Besiktas, gegen das die Hessen 3:1 gewonnen haben) sind eine ordentliche Bilanz. Zuletzt gab es ein wildes 2:2 bei der TSG Hoffenheim, zwei Tore fielen erst spät in der Nachspielzeit.
Das Team von Trainer Pierre Sagé, 45, ist, wie viele französische Klubs, sehr spielstark, technisch und taktisch bestens ausgebildet. Star des Teams ist immer noch Kapitän Alexandre Lacazette, aber auch der serbische Stratege Nemanja Matic, hinten räumt Duje Caleta-Car ab. Und es spielen zwei Bekannte aus der Bundesliga mit, Corentin Tolisso (Bayern München) und Moussa Niakhaté (Mainz 05). Keine Frage: Olympique Lyon zählt trotz aller wirtschaftlichen Probleme zu den Hochkarätern in diesem Wettbewerb - zumal im knapp 60 000 Zuschauer fassenden Groupama -Stadion, und selbst wenn PSG ihre einstige Vormachtstellung in Frankreich beendet haben: Zwischen 2002 und 2008 wurde OL siebenmal hintereinander Meister, so was verpflichtet.