Der Flow ist dahin

18. Oktober 2024, 12:28 Uhr

Ein angeschlagener Zauberer: Ob Florian Wirtz gegen die Eintracht spielen wird, ist noch unklar. © IMAGO/Moritz Müller

Bayer Leverkusen muss erkennen, dass die Leichtigkeit des Vorjahres verschütt gegangen ist

Ganz zum Schluss keimte unterm Bayer-Kreuz nochmal Hoffnung auf, die kleine Blamage abzuwenden, begründete Hoffnung: Zum einen hatte Florian Wirtz den Ball, zum anderen lief längst die Nachspielzeit und Nachspielzeit ist Bayer-Zeit, schon dreimal, zählt man den Supercup hinzu, haben die Leverkusener in dieser jungen Runde in den letzten Minuten Spiele gedreht. Man kennt das ja vom Meister aus der letzten Saison, dieser Wucht zum Ende war kaum einer gewachsen. Doch dieses Mal landete die Flanke bei Niemandem, die Aufholjagd versandete, Bayer Leverkusen hatte sich vom kleinen Holstein Kiel zwei Punkte stibitzen lassen.

Es war just diese Partie vor heimischer Kulisse, die deutlich machte, dass es in dieser Saison beim Meister offenbar nicht so locker-flockig-leicht läuft wie in der vergangenen. Der Flow ist irgendwie gebremst, die Strahlkraft ein wenig verblasst, spätestens nach dem Ende des Nimbus der Unbesiegbarkeit (2:3 zu Hause gegen RB Leipzig am zweiten Spieltag) war klar: Eine weitere Durchmarsch-Saison werden die Arrivierten nicht zulassen. Das stellten gleich die Bayern sehr vernehmlich unter Beweis, die am vierten Spieltag den Meister nach allen Regeln der Kunst herspielten, es nur verpassten, den Sack zuzumachen - wie schon gegen Eintracht Frankfurt, am Samstagnachmittag Gegner.

Es war natürlich Lukas Hradecky, der nach dem Patzer gegen den Aufsteiger die deutlichsten Worte fand: Es mangele am unbändigen Willen, an „Eifrigkeit und Bissigkeit“, man habe vor allem deswegen den Titel geholt, weil „wir jedes Spiel angegangen sind wie die Verrückten“. Das vermisste der Ballfänger im Augenblick, Robert Andrich wollte gar einen „Rückfall“ in fast vergessene Zeiten der Sorglosigkeit festgestellt haben.

„Wahnsinnige“ Gegentore

Aktuell ist von der Leichtigkeit der Vorsaison nicht mehr viel übrig. Der Klub muss nun die Mühen der Ebene bewältigen, er sieht sich vielleicht mehr noch als im letzten Jahr gejagt. Und muss nun, häufig im Dreitage-Rhythmus, permanent auf höchstem Level liefern, jede Nachlässigkeit wird prompt bestraft. Ständig Konzentration und Motivation hochzuhalten, sich ständig die Gier zu bewahren, wenn man ein Jahr lang fast jedes Spiel gewonnen hat, ist eine Kunst, die die wirklich großen Klubs auszeichnet. Und wie leicht trägt das viele Lob, das aus noch mehr Füllhörnern über die feinen Fußballer unterm Bayer-Kreuz ausgeschüttet wurde, auch das Gift in sich, satt und zufrieden zu werden. Dazu kommt sicherlich, dass die Neuzugänge Aleix Garcia, Martin Terrier, Jeanuel Belocian, zusammen immerhin rund 43 Millionen Euro schwer, noch nicht so eingeschlagen haben wie erhofft.

Und es ist ja nicht so, als wären verschenkte Punkte oder vergebene Chancen neu in der DNA der Bayer-Werkself. Bis auf das Meisterjahr gehörten unerklärliche Wackler zum schlechten Ton der hochtalentierten Bayer-Auswahl, Stichwort: „Vizekusen“, ein überqualifiziertes Ensemble stellt sich stets dann selbst ein Bein, wenn es darauf ankommt. Dieses zementierte Manko schien der Klub dank einer klugen Personalwahl und einem ebensolchen Trainer, Xabi Alonso, behoben zu haben - nun dräut es erneut unheilschwanger am Horizont.

Ein paar Zahlen verdeutlichen das Übel: Zur gleichen Zeit in der vergangenen Saison lag Bayer nach sechs Spieltagen mit 16 Zählern und 20:6 Toren an der Tabellenspitze, dieses Jahr ist es Platz fünf bei elf Punkten, dazu hat die Abwehr bereits zwölf Gegentore kassierte, zwei im Schnitt, „Wahnsinn“ nannte das Hradecky. Gerade die Hintermannschaft ließ sich zuletzt viel zu leicht düpieren. Selbst frühe Führungen verpufften häufig, die Alonso-Elf verspielte nach Führungen bereits sieben Punkte.

So könne es nicht weitergehen, soll Alonso seinem Ärger in dieser Woche Luft gemacht haben, in einer Woche, da er auf das Gros seines Teams wegen Länderspielabstellungen hatte verzichten müssen (wie Gegner Frankfurt auch). Und wirklich gute Nachrichten hat er danach nicht empfangen: Florian Wirtz kehrte mit Problemen am Sprunggelenk vom DFB-Einsatz zurück, Einsatz heute offen, Torjäger Victor Boniface wurde stundenlang mit Nigeria am Flughafen in Libyen festgehalten. Nicht die besten Voraussetzungen: Doch im Ernstfall hilft Statistik: Die letzten zehn Heimspiele gegen Eintracht Frankfurt hat Bayer Leverkusen allesamt gewonnen - mit einem Torverhältnis von 35:5.

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