Der Verteilungskampf um die Fernsehgelder
Es geht um echtes Geld, nicht um Schokotaler, wie hier bei den Fanprotesten Anfang 2024. © IMAGO/ActionPictures
Sonntagnachmittag: Heribert Bruchhagen schaut gerade die Premier League – FC Fulham gegen Ipswich Town -, als die Frankfurter Rundschau ihn am Telefon erreicht. Die Begegnung in England begeistert den ehemaligen Vorstandschef von Eintracht Frankfurt wenig, da freut der 76-Jährige sich lieber auf die vielen gut bekannten Gesichter beim Neujahrsempfang der Deutschen Fußball-Liga im Frankfurter Palmengarten am 16. Januar und einen Tag später aufs Spiel der Eintracht gegen Borussia Dortmund, das er mit seiner lebenslangen Ehrenkarte besuchen will.
Am Morgen vorm festlichen Neujahrsempfang geht es unter den Klubverantwortlichen der beiden Fußball-Bundesligen weniger freundschaftlich zu. Streitpunkt bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung: Wie sollen ab der kommenden Saison die nationalen und globalen Medieneinnahmen verteilt werden, die die Deutsche Fußball-Liga (DFL) erzielt hat? Pro Saison sind das 1,12 Milliarden Euro (national) und derzeit rund 216 Millionen Euro (international). Aktuell bekommt Branchenführer FC Bayern mit 101 Millionen Euro davon das meiste und Aufsteiger Holstein Kiel mit 31,5 Millionen Euro am wenigsten.
Heribert Bruchhagen hatte vor Jahren mal den revolutionären Vorschlag gemacht, dass es genau umgedreht sein müsste, damit es spannend zugeht: Der Erste bekommt am wenigsten, der Letzte am meisten. Am Sonntag vorm Fernseher mag der pensionierte „Robin Hood der Bundesliga“ sich nicht mehr für die Armen ins Zeug legen. „Ich bin zu diesem Thema nicht mehr zitierfähig“, sagt er freundlich, aber bestimmt.
So weit ist es schon gekommen in der Debatte. Heribert Bruchhagen ist nicht mehr zitierfähig.
Davon, den Armen auf Kosten der Reichen mehr vom Sahnekuchen abzugeben, hält man in München ohnehin rein gar nichts. Bayern-Boss Jan-Christian Dreesen sagt: „Wir als Bayern stehen zum Solidaritätsprinzip der Liga, aber wir sind auch das Zugpferd. Wir fordern deshalb, dass unsere Leistung klar honoriert wird. Wer antreibt, muss auch belohnt werden.“
Die Sache ist nur die: Die Bayern kassieren nicht nur durch die 100 Millionen Euro Medieneinnahmen der Bundesliga dreimal so viel wie Holstein Kiel und 13-mal so viel wie Zweitligaaufsteiger Preußen Münster. Obendrauf kommen die exorbitanten Einnahmen in der Champions League und im Sommer durch die Klub-WM, wo die deutschen Teilnehmer Bayern und Dortmund auf bis zu 50 Millionen Dollar hoffen. In der Champions League haben die Bayern in den vergangenen zehn Jahren rund eine Milliarde Euro allein an Uefa-Prämien erlöst. Obendrauf türmen sich dreistellige Millionenbeträge durch Eintrittsgelder, Sponsoring und Merchandising.
„Die Erlöse aus den internationalen Wettbewerben machen den nationalen Wettbewerb kaputt“, argumentiert St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich, „wir müssen also eine Angleichung dieser Mehrerlöse aus dem internationalen Sektor national realisieren. Sonst laufen uns die europäischen Teilnehmer weg und betonieren den Status quo.“
Heribert Bruchhagen hätte es kaum besser formulieren können. Sollten die Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen und Frankfurt, die regelmäßig in Europa dabei sind, von ihren zweistelligen Millionenerlösen jede Saison etwas abgeben? Unrealistisch! Sollten die Gelder aus der Bundesligavermarktung mehr von oben nach unten gereicht werden? Bruchhagen hat dafür jahrzehntelang wie gegen Windmühlenflügel gekämpft. Sein Nachfolger bei Eintracht Frankfurt, Axel Hellmann, sitzt wie früher Bruchhagen selbst im neunköpfigen Präsidium der Deutschen Fußball-Liga. Dort, wo nach den Aufstiegen von St. Pauli und Kiel statt drei nur noch ein einziger Zweitligamann zugegen ist (Holger Schiewagner aus Fürth) wird die Entscheidung getroffen. Der Verteilungskampf sei „härter geworden“, sagt Hellmann.
Dass am 16. Januar auf Druck der zweiten Liga überhaupt eine außerordentliche Mitgliederversammlung abgehalten werden muss, hält er – genau wie der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel und Leverkusens Boss Fernando Carro – für keine gute Idee. Hellmann: „Aber mir ist schon klar, dass der eine oder andere das politisch nutzen will, um sich ein Forum damit zu bauen.“
Gerade abgestürzte Traditionsvereine wie der Hamburger SV und Schalke 04 drängen vehement auf einen größerer Beitrag aus den TV-Geldern, weil viel mehr Leute sich für sie interessieren als etwa für Heidenheim, Augsburg oder Mainz. Der HSV kann diese Saison mit 15 Millionen Euro aus der TV-Vermarktung rechnen, weniger als halb so viel wie Holstein Kiel. „In keiner anderen europäischen Topliga werden Themen wie Stadionauslastung, Aboabschlüsse, Markenreichweite oder die Beteiligung an abendlichen Topspielen so wenig Rechnung getragen wie in Deutschland“, bemängelt HSV-Finanzchef Eric Huwer.
Stefan Hofmann, Boss von Mainz 05, hält diametral dagegen und fordert die Einführung einer Effizienzwertung, um solide wirtschaftende Vereine zu belohnen. Das wäre eine neue Säule, die es noch nicht gibt (siehe Infobox).
Für Eintracht Frankfurt, sagt Axel Hellmann, sei „es mehr oder weniger egal, ob wir nach Reichweite oder nach dem sportlichen Erfolg der letzten Jahre“ bewertet würden. Denn: „Wir sind nach allen Parametern, die im Moment öffentlich vorgeschlagen werden, in den Top sechs.“ Näher liege Eintracht Frankfurt aber die Reichweitenbetrachtung. Hellmann fragt rhetorisch: „Wer schafft Abos und die wirtschaftliche Grundlage für den Erfolg der Medienpartner? Eindeutig die reichweitenstarken Klubs.“ Auf der anderen Seite seien Erfolgsgeschichten wie die des 1. FC Heidenheim nur möglich, wenn auch der sportliche Aspekt Berücksichtigung finde. „Ich habe für beide Seiten Verständnis und werde mir nicht entlocken lassen, wie ich als Mitglied des Präsidiums mein Votum einsetzen werde.“
Der Leverkusener Carro ärgert sich über die neu entflammte Debatte. Darbende Traditionsvereine sollten lieber zusehen, dass sie „sich nicht durch eine andere Geldverteilung konsolidieren, sondern durch gutes Management“. Er sei „da knallhart: HSV, Schalke – und wie sie alle heißen – waren in den vergangenen Jahren nicht in der Lage, ihren Verein gut zu managen.“
Wahr ist aber natürlich auch: Das zweifellos sehr gute Leverkusener Management erfährt durch den Bayer-Konzern besondere Unterstützung. Gerade in der Coronakrise haben Klubs wie Leverkusen, Wolfsburg und Leipzig durch Muttergesellschaften Sicherheit erfahren, während andere, wie etwa Werder Bremen, an den Abgrund taumelten und sich nur mit Mühe regenerieren konnten. Werders Klubchef Klaus Filbry erwartet somit „mit Sicherheit ein zähes Ringen um den Verteilerschlüssel“.
Einen kritischen Blick legen einige Klubs vor allem auf die Verteilung der 216 Millionen Euro aus der internationalen Bundesliga-Medienvermarktung. Die Bayern kassieren davon 35 Millionen Euro, Eintracht Frankfurt 19 Millionen, Werder Bremen 3,8 Millionen, jeder Zweitligist nur 373 000 Euro.
In England, wo die Premier League sowohl für die nationale als auch die internationale Vermarktung je zwei Milliarden Euro pro Saison erlöst, läuft es anders. Gerade in der Verteilung der globalen Erlöse, die fast zehnmal so hoch sind wie die der Bundesliga, gibt es für Meister Manchester City nicht viel mehr als etwa für Fastabsteiger Nottingham Forest. Das vor allem vom FC Bayern immer wieder als vorbildlich bezeichnete Solidaritätsprinzip wird in England viel solidarischer interpretiert.
Man darf gespannt sein, was in den nächsten Wochen passiert. Bis Ende Januar will DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke das leidige Thema vom Tisch haben. Für die Bayern sitzt seit ein paar Wochen statt Jan-Christian Dreesen nun Michael Diederich im DFL-Präsidium. Diederich wurde nur mit knapper Mehrheit gewählt, was ungewöhnlich ist, sich aber erklären lässt: Der Mann gilt als Hardliner in der Vertretung der Bayern-Interessen.
Verteilung Die rund 1,1 Milliarden Euro aus der nationalen Vermarktung werden so vergeben: 26 Millionen Euro für jeden Erstligisten, 7,6 Millionen für jeden Zweitligaverein. Weitere 43 Prozent der Gelder werden basierend auf den Platzierungen der Vereine in den Vorjahren verteilt. Zudem vier Prozent als Belohnung für Nachwuchsförderung, drei Prozent fürs Zuschauerinteresse. Von 216 Millionen Euro aus der internationalen Vermarktung bekommen die Spitzenklubs fast alles und die Kleinen fast nichts. FR
Bitte melde Dich an, oder registriere Dich, um Kommentare schreiben zu können