Prokopenkos Gefühle zur Festspielstadt
"Einigen fehlt es an Selbstreflexion"
Roman Prokopenko war über 20 Jahre für die SG Hessen Hersfeld, die nun SG Festspielstadt heißt, als Spieler und Trainer unterwegs. Nun blutet ihm das Herz. Foto: Steffen Kollmann
Roman, was waren deine Gedanken, als du die Nachricht vom Rückzug in die B-Liga gelesen hast?
Ich war und bin noch immer unfassbar traurig. Die Hessen sind mein Herzensverein, bei mir fließt nicht nur rotes, sondern sogar blaues Blut durch die Venen. Aber der Verein, das ganze Konstrukt Festspielstadt war in den vergangenen Jahren schon nur noch ein Komapatient. Die Entwicklung war abzusehen.
Die Elefantenhochzeit mit dem SVA Bad Hersfeld sollte ein Leuchturmprojekt werden. Warum ist es ganz anders gekommen?
Der SVA war sportlich am Boden, die Hessen finanziell. Die Wahrheit ist, dass uns Asbach schon vor dem Zusammenschluss finanziell unter die Arme gegriffen hat. Wir konnten in unserer Meistersaison 2018 kaum noch die Schiedsrichter bezahlen. Zwei Kranke ergeben zusammen noch keinen Gesunden.
Und wie ließ sich die Zusammenarbeit mit dem SVA an?
Schlecht. Nicht wegen Asbach, sondern wegen der Grundstimmung. Wir hatten lange weder ein einheitliches Trikot noch ein eigenes Wappen. Da die Hessen, dort die Asbacher. Schaue ich beispielsweise nach Neuenstein, sehe ich, wie so eine Zusammenführung funktionieren kann. Bei uns war das ein Zusammenschluss auf dem Papier, gelebt wurde er nicht.
Jetzt wird Emmanuel Crawford immer wieder als Sündenbock hingestellt. Frei nach dem Motto: Er will kein Trainer sein, deswegen konnten wir keine KOL-taugliche Mannschaft stellen.
Das ist lächerlich. Emma hat genau wie ich jahrelang die Knochen für den Verein hingehalten. Und das ist nun der Dank. Als ich den Verein verließ, war Emma derjenige, der mit seiner positiven Art noch viel zusammengehalten hat. Dass er nun kein Trainer sein will, kann ja nicht gleichzeitig als Ausrede für den Rückzug dienen. Das passt ganz und gar nicht, zumal die neuerliche Spielerflucht schon vorher begann.
Aber das explizit die SG Hessen immer wieder vom Trainer abhängig war, ist kein Geheimnis.
Natürlich nicht. Wenn ich an meine Anfangsjahre als Seniorenspieler zurückdenke, war Markus Heide derjenige, der unsere Clique zusammenhielt. Das Angebot von den Hessen war jedes Jahr das finanziell unattraktivste, aber trotzdem blieben wir – eben wegen Markus. Als er 2014 seinen Abschied verkündete, ging fast das ganze Team.
Es folgte die unsägliche Gruppenliga-Saison unter Andreas Schmier.
Meinen Respekt, dass Andi das fast ohne taugliche Spieler für die Gruppenliga irgendwie durchgezogen hat. Ich weiß nicht, ob ich so eine Saison durchgestanden hätte.
Und dann kamst du.
Das war vom Verein ein purer Akt der Verzweiflung. Ich war 25 und sollte mit Adrian May Trainer sein. Im jugendlichen Leichtsinn haben wir zugesagt und sportlich in den ersten beiden Jahren fast das Optimum rausgeholt. Erst Vize, dann KOL-Meister. Vor allem, weil wir viele Kumpel über die persönliche Schiene für das Projekt gewinnen konnten.
Es folgte der direkte Abstieg, dann Platz zwei zur Winterpause. Warum bist du in dieser Situation zurückgetreten? Der direkte Wiederaufstieg in die Gruppenliga lag im Bereich des Möglichen.
Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Die Hessen sind mein Verein, für den ich viel geopfert habe. Diese sportlich wilde Fahrt hat mir eine Menge abverlangt. Gleichzeitig bist du als Trainer der Hessen viel mehr als nur Trainer, musst viel organisieren. Ich habe den Kader geplant, mir dafür manchmal Zusagen vom Vorstand für beispielsweise Fahrtkosten eingeholt und diese den Spielern versprochen. Gehalten wurde das vom Vorstand nicht immer. Letztlich war ich der Blöde, weil ich die Zusagen gegenüber der Spieler kommunizierte. Schön ist das nicht.
Aber das war nicht der einzige Grund.
Richtig. Ich wollte den Heide-Effekt vermeiden. Dass, falls ich gehe, viele Spieler ebenfalls gehen. Deswegen dachte ich, dass mein Rücktritt im November 2019 der SG Zeit gibt, sich neu aufzustellen und den Spielern eine Perspektive ermöglicht. Es sollte nicht schon wieder zu viel von einer Person abhängig sein. Ein Irrglaube. Der Effekt kam einfach etwas verzögert.
Und was bleibt?
Eine tiefe Betroffenheit und viele Fragen. Ich habe während meines Studiums mal ein halbes Jahr für den TSV Bachrain gespielt, da gab es zum Abschied Blumen und eine Flasche Schnaps. Für die Hessen habe ich mich über 20 Jahre aufgeopfert. Da gab es nicht mal warme Worte. Und gegen Emma, dem es jetzt ähnlich geht, wird sogar noch nachgetreten. Dem einen oder anderen stünde etwas mehr Selbstreflexion gut zu Gesicht.
Infos zur SG Festspielstadt/SVA/Spvgg.:
Drei Vereine bilden die SG, die fortan nur noch mit einem Team in der B-Liga startet: die SG Festspielstadt, der SVA Bad Hersfeld und die Spvgg. Hersfeld. Bis Sommer 2018 spielte die SG Hessen gemeinsam mit der Spvgg. Hersfeld.
Um die lange im Raum stehende „Elefantenhochzeit“ mit dem SVA Bad Hersfeld zu ermöglichen, benannte sich die SG Hessen Hersfeld in SG Festspielstadt um. Die Spvgg. war vor und nach der Elefantenhochzeit stets als Anhängsel zu behandeln. Im Jahnpark spielend und mit eigenem Kader ausgestattet, galt der Fokus dem Breitensport, während die SG Hessen und der SVA Asbach in der Vergangenheit Erfolge bis hinauf in der Oberliga feierten.
Dass die Hessen monetär in den letzten zwei Jahrzehnten nicht auf Rosen gebettet waren, ist kein Geheimnis und steht in engem Zusammenhang mit dem finanziellen Kollaps und den damit verbundenen Altlasten der Handballabteilung. 2003 zog Hessen Hersfeld das Damen-Bundesligateam aus dem laufenden Spielbetrieb zurück.