Eintracht Frankfurt und das Spiel ohne Grenzen
Was im allgemeinen Eintracht-Trubel rund um die netten Geschichten von roten Glückspullis (Dino Toppmöller), rüstigen Opis (Mario Götze) und schönen Jubiläen (noch mal Mario Götze, feines Tor im 100. Eintracht-Spiel) fast unterging: Der Frankfurter Himmelsstürmer Omar Marmoush blieb im Bundesligaspiel gegen den SV Werder Bremen (1:0) nicht nur ohne eigenes Tor, was selten genug der Fall ist. Nein, der Eintracht-Angreifer verpasste es auch, seine historische Chance am Schopf zu packen.
Dazu hätte er, ganz einfach, nur seinen vierten Freistoß im vierten Spiel hintereinander im Tor versenken müssen, was einen Weltrekord auf allen Ebenen bedeutet hätte. Also wahrscheinlich, so genau weiß man das nicht, die Welt ist ja groß. Aber sicher ist: Marmoush hätte nicht nur die Marke von Christian Fuchs aus der Saison 2009/2010 übertroffen, sondern auch die nur unwesentlich bekannteren Alessandro del Piero und Lionel Messi überflügelt. So aber: Nix da mit dem alleinigen Rekord. Marmoush verbaselte die Riesenchance.
Marmoush als Freigeist
Das ist natürlich überspitzt formuliert. Und zur ganzen Wahrheit gehört auch: Omar Marmoush hätte gar keinen Freistoß im Kasten der tapferen Werderaner versenken können, weil es gar keinen Freistoß in einer Distanz gab, die Aussicht auf Erfolg versprochen hätte. Auch dies ist richtig: Omar Marmoush hat am Samstag ganz sicher nicht seinen besten Tag erwischt, war er aber auch mit lästiger und in dieser Form eher unüblicher Defensivarbeit betraut. Und erst ein paar Tage zuvor aus dem heißen Kairo ins kalte Frankfurt gekommen.
Die mannschaftsdienliche Spielweise brachte dem Ägypter nicht nur Lob von seinem Trainer Dino Toppmöller ein, sondern zeigt generell, dass sich auch der in den Rang des Superstars gehobene Stürmer dem Erfolg des Kollektivs unterordnet und ihn über seinen eigenen stellt. Das war nicht immer so. Klar, dass Omar Marmoush, dem jetzt sogar ein eigenes Lied von Wumms, „dem Sportsatire-Format mit Bumms“, gewidmet wurde, für die besonderen Momente zuständig bleiben wird, er gibt der Mannschaft als Freigeist in vorderster Linie zu viel, um ihn dauerhaft in ein taktisches Korsett zu schnüren, das seine Stärken nicht maximal fördert. Das hat Toppmöller auch nicht vor.
Interessant an dieser Stelle: Das famose Sturmduo bringt fast immer entscheidenden Input – wenn nicht beide, dann der eine oder der andere: Dieses Mal war Hugo Ekitikés Vorlage auf Mario Götze allererste Sahne, die hohe Kunst des Fußballspiels.
Trotzdem: Der Gemeinschaftssinn zeichnet die Eintracht in dieser Saison aus, „die Mannschaft ist zusammengewachsen“, wie Flügelspieler Ansgar Knauff sagt: „Wir sind gut drauf und möchten im Flow bleiben.“ Das Team ist sinnvoll ergänzt worden, inzwischen gut aufeinander abgestimmt. Die Mischung stimmt, eine Mixtur aus Tempo, ungezügelter Offensivlust mit viel Kreativität und einer ehrlichen Arbeitermentalität. Die brachte jetzt den hart errungenen Sieg gegen Bremen. Und auch das Gefälle zwischen jungen, hungrigen Spielern und alten Hasen passt, die Routiniers freilich sind genauso ehrgeizig wie die Talente. Ein nicht unerheblicher Aspekt.
Genauso wie die Akzeptanz von Hierarchien sowie die Lernbereitschaft der Jungprofis. Eingliederung, sich nicht zu wichtig nehmen, etwas annehmen und den Willen zu haben, jeden Tag ans Maximum zu gehen, sind unabänderliche Parameter, um auf Spitzensportlevel erfolgreich sein zu können. Zudem ist auch eine bescheiden gebliebene Fußballikone wie Mario Götze, längst Elder Statesman, ein wichtiger Faktor: „Mario ist ein absoluter Führungsspieler. Wir können mega viel von ihm lernen auf und neben dem Platz“, sagt etwa Jungspund Nnamdi Collins.
Dieser Spirit eint zurzeit das Ensemble, er führt dazu, dass dann auch die engen Spiele zugunsten der Eintracht kippen. „Das war vergangene Saison nicht so“, sagt Ansgar Knauff. Partien wie jetzt gegen Werder habe es in der Vorsaison zuhauf gegeben, „die wir aber nicht gewonnen haben.“ Die Folgen waren auch: unzählige Unentschieden, 14 an der Zahl. Für Knauff ist es daher jetzt „umso wichtiger, mit drei Punkten aus so einem Spiel wie gegen Bremen hervorzugehen.“
Die Eintracht wird auch getragen von einer Welle der Begeisterung. „Die Euphorie können wir mitnehmen, wir sollten uns keine Grenzen setzen“, sagt Kapitän Kevin Trapp. Aber der Torwart schränkt auch ein, und das gar nicht pflichtbewusst, sondern weil es eben die Realität abbildet: „Wir haben noch einen unheimlich weiten Weg vor uns. Wir müssen viel tun. Wenn wir ein bisschen weniger machen, bekommen wir Probleme. Es ist nicht alles perfekt.“
Und doch ist die Eintracht in aller Munde, der zweite Platz ist der Lohn für den Hunger und die Gier und eine nicht nachlassende Fokussierung. Die Frankfurter sind die Mannschaft der Stunde, gelten als Überraschungsteam der Liga – aber als richtiger Konkurrent im Spitzengetümmel werden sie nicht gehandelt. Der „Kicker“ etwa prognostizierte in seinem Kommentar zur Lage der Liga ein langweiliges Titelrennen und gratulierte den Bayern quasi vorzeitig zur Meisterschaft, weil Konkurrenten wie Leipzig, Dortmund und Leverkusen zu viele andere Probleme hätten – der Tabellenzweite aus Frankfurt wurde da gar nicht erwähnt. Nicht schlimm: Als Bayern-Verfolger sieht er sich auch selbst nicht.
Dennoch ist die Formkurve der Eintracht beeindruckend: Nimmt man die letzten 15 Pflichtspiele als Maßstab, so rangiert sie in einer imaginären Tabelle der Top-fünf-Ligen Europas mit elf Siegen und drei Remis auf dem zweiten Platz – vier Zähler hinter dem FC Liverpool, aber sogar einen vor den Bayern.