Eintracht Frankfurt und die bröckelnde Abwehrmauer

18. Dezember 2024, 14:59 Uhr

Zuletzt wieder stark, davor schwankend: Eintracht-Vertedigier Arthur Theate (re.). © AFP

Die Eintracht ist auch deshalb in eine Schaffenskrise genutzt, weil sie plötzlich zu viele Gegentore kassiert und die Defensive generell wankt

Die Frankfurter Eintracht, dieser dünne Fakt vorneweg, macht es den Kontrahenten in der ersten Viertelstunde nach Wiederanpfiff eines Fußballspiels ziemlich leicht, ein Tor gegen sie zu erzielen. Das tut ihr schon ziemlich weh und ist ärgerlich, es kann Partien auch in ihrer ganzen Statik verändern und kippen lassen. Aber es ist, wie es ist, die Statistik lügt in diesem Fall sicher nicht.

Allein in den zurückliegenden sechs Begegnungen klingelte es in dieser Phase satte siebenmal im Kasten von Torwart Kevin Trapp: In der Europa League kam der FC Midtjylland zum zwischenzeitlichen Ausgleich (48.), RB Leipzig im Pokal zur Vorentscheidung durch gleich zwei Buden zum 2:0 und 3:0 (49./58.), der FC Augsburg zum 1:1 (60.), Olympique Lyon geriet ebenfalls auf die Straße des Sieges durch einen Doppelpack zum 2:1 und 3:1 (50./54.) und am vergangenen Sonntag machte erneut RB Leipzig ein paar Minuten nach Wiederanpfiff (51.) das Tor zum 2:1, das alles entscheidende, es sollte den Sieg für die Sachsen bringen.

Die ominöse 86. Minute

Aber wie ist diese Schläfrigkeit zu Beginn des zweiten Abschnitts zu erklären? Die Protagonisten wissen es selbst nicht so genau. Vielleicht ist es auch einfach Zufall, schließlich lässt sich im Fußball nicht alles erklären, kein noch so schöner Lauf und keine noch so unschöne Pleitenserie. Auch nicht jenes Phänomen von vor gut zehn Jahren, als die Eintracht unter Armin Veh in der 86. Spielminute immer wieder entscheidende Gegentore kassierte und auf die Bretter geschickt wurde. Immer in der 86., ominös wurde diese Minute schnell genannt. Irgendwann hatte auch sie ihren Schrecken verloren.

Und heute? Bei der neuen Frankfurter Problem-Viertelstunde herrscht selbst unter den Protagonisten Uneinigkeit über die Bewertung. „Wenn es so oft hintereinander passiert, muss es einen Grund haben“, befand Torwart Kevin Trapp nach der jüngsten Niederlage in Leipzig. Sinne schärfen in der Kabine und eindringlich appellieren vor dem Restart kann wohl nicht schaden. Trainer Dino Toppmöller weiß indessen nicht, was er damit wirklich anfangen soll: „Für mich ist da kein Muster zu erkennen.“ Genauso wenig wie bei einer anderen Statistik, nämlich der, wonach die Eintracht als einziges deutsches Team in keinem der drei Wettbewerbe vor der Pause in Rückstand lag. In 23 Spielen immerhin. Wieso, weshalb, warum? Man weiß es nicht. Zufall. Vielleicht.

Besorgniserregender als die Gegentore nach Minute 45 ist freilich die Anzahl der Gegentore als solche. In den vergangenen vier Partien schluckte die Eintracht insgesamt zehn Treffer (drei in Leipzig, zwei gegen Augsburg, drei in Lyon, zwei in Leipzig). Das ist nicht nur zu viel. Es hilft auch ganz sicher nicht, den einsetzenden Negativtrend aufzuhalten – im Gegenteil. Wer sich stabilisieren und eine kleine Schaffenskrise überwinden will, tut gut daran, erst einmal ein gutes Fundament zu errichten, auf dem sich aufbauen lässt.

Natürlich verfügen Lyon und Leipzig über hervorragende Offensivspieler, die eine Abwehr schon mal ans Limit bringen können. Trotzdem stand die Eintracht schon mal sehr viel kompakter, erwachsener, reifer, kam ohne ständige individuelle Aussetzer aus. Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Kassierten die Hessen in den ersten 19 Partien im Schnitt 1,2 Gegentore, waren es in den letzten vier Spielen 2,5 – das ist mehr als das Doppelte. Um die Ziele zu erreichen und diese Flut zu stoppen, braucht es wieder eine andere Defensivstruktur; eine konzentrierte und konsequente Abwehrarbeit, die es möglich macht, knappe Spiele zu ziehen. Das zeichnete die Frankfurter zuvor aus: hinten verteidigten sie wehrhaft, vorne knipsten sie gnadenlos effektiv. Das ist beides nicht mehr so.

Leistungsträger schwächeln

Aber klar gibt es Gründe für die bröckelnde Abwehrmauer. In erster und zweiter Linie sind das, auch wenn es sich banal anhören mag, Formschwankungen der Spieler und individuelle Missgeschicke. „Fußball ist ein Fehlersport“, sagt Senkrechtstarter Nathaniel Brown. Damit hat er zweifelsohne recht. Aber es ist eben auch ein Qualitätsmerkmal, möglichst ohne Bolzen durchs Spiel zu kommen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Sieges schon deutlich.

Die Frankfurter aber patzten zuletzt zu häufig, egal, ob Kevin Trapp gegen Augsburg, Arthur Theate in Lyon oder Ansgar Knauff in Leipzig, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das ist sicher auch eine Frage der Fokussierung und der mentalen Beschaffenheit. Dass man geistig nach so vielen Spielen und Reisen nicht immer auf 100 Prozent fährt, ist nur allzu logisch.

Genauso erklärbar sind Formschwankungen der Leistungsträger. Arthur Theate zeigte jetzt in Leipzig eine starke Performance, wackelte aber davor ungewohnt heftig. Kein Wunder, er spielt seit Wochen mit gerissenem Außenband. Auch Abwehrchef Robin Koch, häufiger mal angeschlagen, aber immer tapfer und sich stets in den Dienst der Mannschaft stellend, sind die zehrenden Monate anzumerken, er ist nicht mehr auf Topniveau aktuell. Genauso wie Rasmus Kristensen, der lange verletzt war und dann gleich wieder mehrere Spiele am Stück machte. Ein gewisser körperlicher Verschleiß bleibt bei den immensen Belastungen, gerade in den letzten Wochen, nicht aus. Noch ein Beispiel: Der Brasilianer Tuta war zuletzt mit Wadenproblemen ganz außer Gefecht gesetzt.

Und die Eintracht hat zudem noch ein kleines Problemchen auf der linken Abwehrseite, auf der zuletzt dann zweimal sogar Rechtsverteidiger Rasmus Kristensen aushalf, mehr schlecht als recht. Dort könnte auch Arthur Theate spielen, würde dann aber in der Mitte fehlen. Er ist auch nicht so offensivstark. Oder aber Nathaniel Brown, der gut in Form ist, aber sehr offensiv denkt und dort klar seine Stärken hat. Keine Option sollte Niels Nkounkou mehr sein, der selbst bei seinem Kurzeinsatz in Leipzig jetzt eine denkbar schwache Vorstellung zeigte – zuvor in Lyon sowieso.

Das Gute für die Eintracht-Spieler: Es bleibt keine Zeit, sich großartig Gedanken zu machen oder zu grübeln – egal ob über schwarze Serien oder Formschwächen. Sie müssen sich nur noch einmal am Riemen reißen, am Samstag zum Jahresausklang gegen den Nachbarn Mainz 05.

Kommentieren