Eintracht Frankfurt und die Sehnsucht nach den großen Nächten

24. September 2024, 16:17 Uhr

Auf immer verbunden: Frankfurt und der Europa-League-Pokal. © IMAGO/Revierfoto

Der Bundesligist startet gegen Viktoria Pilsen in seinen Lieblingswettbewerb Europa League. Ein Patzer gegen die Tschechen wäre ein echter Stimmungskiller.

Der Lieblingswettstreit von Eintracht Frankfurt kehrt zurück in das Herz von Europa, der Wettbewerb, in dem sich der hessische Bundesligist in Sevilla im Mai 2022 zum Champion krönte, die Europa League. Auf dem Weg zum großen Titel nahm die Eintracht damals das Camp Nou ein, in Barcelona sprechen sie noch heute fast ehrfürchtig von der „Bestia Blanca“, der weißen Bestie. Kein einziges ihrer 13 Europapokalspiele verlor die Eintracht in dieser famosen Saison, die letzte Niederlage in der Europa League setzte es im Jahr 2020 beim FC Basel, es war eine surreale Zeit, als die Stadien zu Geisterhäuser wurden und Corona die Welt im Klammergriff hielt.

Nun soll ein anderes Kapitel aufgeschlagen werden, am Donnerstag (21 Uhr/RTL) starten die Hessen zu Hause im Waldstadion gegen Viktoria Pilsen in ein neues Abenteuer, „das ist der Auftakt in einen besonderen Wettbewerb für Eintracht Frankfurt“, sagt Cheftrainer Dino Toppmöller.

In Frankfurt hoffen die Fans auf dieses spezielle Fluidum, „eine besondere Nacht“ (Ansgar Knauff), ja auf das „energetische Band“, wie Vorstandssprecher Axel Hellmann die enge Verbindung zwischen Verein und Menschen nennt, eine Verbindung, „durch die wir Grenzen verschieben können“.

In der drittklassigen Conference League hat das in der Vorsaison nicht ganz so gut geklappt, da rumpelte die Eintracht erst durch die Gruppe, verlor zweimal gegen Paok Saloniki, einmal beim FC Aberdeen und musste dann im Sechzehntelfinale eine bittere Pille schlucken: blamables Ausscheiden gegen die Belgier Royale Union Saint-Gilloise. Dieser Nackenschlag warf den ganzen Verein zurück, drückte ganz gewaltig aufs Gemüt und ließ die Menschen mit der Mannschaft und ihrem Trainer fremdeln. Im Rückblick räumt auch Sportdirektor Timmo Hardung ein, dass die europäischen Vorstellungen nicht eben rosig waren. Er bittet aber um eine differenzierte Betrachtungsweise und stellt sich schützend vor die Spieler, bei denen es ganz gewiss nicht an der Einstellung gelegen habe. „Wir wollten anders performen und wir haben die Conference League nicht auf die leichte Schulter genommen.“ In der Kabine habe er eine hohe Motivation gespürt: „Nichts war größer als der Wunsch, in die nächste Runde einzuziehen.“ Doch wenn plötzlich Verkrampfung an die Stelle von Leichtigkeit tritt, kann es schon mal ein böses Ende nehmen. Zumal die Gegner „keine Thekenmannschaften“ sind.

Jetzt wolle man ein anderes Gesicht zeigen, auch wenn Hardung betont: „Wir hängen die Europa League nicht höher als die Conference League.“ Jeder Contest sei ernst zu nehmen und zu respektieren. Nachvollziehbar, aber in der Praxis nicht immer so leicht umzusetzen. Eine absolute Spitzenmannschaft zeichnet aus, in allen Wettbewerben konstant Leistung am oberen Level abzurufen. In diesem Fall würde das bedeuten: Nach dem Europapokalfesttag auch am Sonntag im Kerngeschäft Bundesliga bei Aufsteiger Holstein Kiel zu bestehen. Man wird sehen.

Die Aufgabe gegen Pilsen, aktuell Dritter in Tschechien, wird schon unangenehm genug, die Eintracht hat mit der Auslosung nicht unbedingt Glück gehabt. Sie muss gegen alle vermeintlich schwächeren Kontrahenten (Viktoria Pilsen, Rigas FS, Slavia Prag, Ferencvaros Budapest) zu Hause antreten, auswärts hingegen bei den eher klangvolleren Namen wie Besiktas Istanbul, Olympique Lyon oder AS Rom.

Nicht nur Sportdirektor Hardung erwartet daher Gegner, die ihr Heil im Zerstören und Einbetonieren versuchen, eine vielbeinige Defensive mit nach Frankfurt bringen. Diesen Riegel zu knacken, gehörte in der letzten Spielzeit nicht zu den hervorstechenden Merkmalen der Eintracht. Im Gegenteil, sie tat sich verdammt schwer. „Lösungen gegen tiefstehende“ Mannschaften zu finden, nennt Hardung zu Recht „die Königsdisziplin“.

Am Donnerstag wird sich die Eintracht erstmals in ihr versuchen dürfen, in den bisherigen Bundesligaspielen überließ sie lieber dem Gegner den Ball, um dann über die pfeilschnellen Offensivspieler überfallartig zu kontern. Das wird gegen die Tschechen eher nicht so kommen.

Und: Der Sportdirektor rechnet mit einer überaus motivierten Viktoria-Elf. „Für sie ist das ein Highlight-Spiel, das ist deren Champions League“, sagt er. „Dafür haben sie ein Jahr gearbeitet. Sie wollen uns wehtun.“ Niemand nehme den Kontrahenten aus diesem Grund auf die leichte Schulter. „Wenn wir das tun würden, wäre es eine Riesengefahr. Aber das tun wir nicht. Sie haben die Europa-League-Teilnahme nicht im Lotto gewonnen“, bemerkt der 34-Jährige. „Das ist eine sehr robuste, körperliche Mannschaft mit großer Disziplin und hoher Leistungsbereitschaft.“

Qualitativ ist die Eintracht deutlich stärker besetzt, und „natürlich ist es unser Anspruch, das Spiel zu gewinnen“. Das sei auch im Hinblick auf die neue Systematik des Wettbewerbs enorm wichtig. „Wir können noch nicht abschätzen, wie viele Punkte und Siege wir brauchen.“ Drei Zähler auf dem Konto wären da schon mal beruhigend.

Die Richtung der Eintracht ist klar: Sie will sich direkt fürs Achtelfinale qualifizieren, dazu müsste sie unter die ersten acht von 36 Klubs kommen. „Wir haben ambitionierte Ziele, auf die wir hinarbeiten. Du brauchst den totalen Fokus, Willen und Ehrgeiz. Wir wollen unser Herzblut reinstecken.“ Verzichten muss sie dabei wohl auf den zuletzt kränkelnden Mario Götze, der langsam eingegliedert werden soll. Denn: „Mario hatte es ordentlich erwischt“, sagt Hardung. Zuletzt ging es freilich auch ohne ihn.

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