Eintracht Frankfurt: „Wir sind erst am Anfang“

08. November 2024, 15:46 Uhr

Gleich schlägt es ein im Prager Tor: Omar Marmoush biegt den Ball genau in den Winkel, 1:0, Siegtor. © IMAGO/Jan Huebner

Die Eintracht entwickelt nicht nur ein bockstarkes Team, sondern auch ein neues Selbstverständnis / Keine Angst vor dem VfB Stuttgart

Der kecke Schwede Hugo Larsson setzte den Schlusspunkt unter den internationalen Abend im Frankfurter Stadtwald. Gegen die bemerkenswert starken Tschechen von Slavia Prag habe die Eintracht-Mannschaft an jenem Donnerstag im November ein verdammt hartes Stück Arbeit zu verrichten gehabt, ehe der 1:0-Erfolg seinen Weg in die Statistik gefunden hatte. „Es ging nur über Kampf“, sagte der 20-Jährige. „Rennen, rennen, rennen. Das kostet viel Energie, raubt Kraft.“ Aber: „Fußball muss ja nicht immer sexy sein.“

Wobei das eine Frage der Definition ist: Denn Omar Marmoushs Zauberfreistoß ist in der nach oben offenen Sexy-Skala kaum mehr messbar. Es war ein fester Schlenzer wie gemalt, ein Gemälde, ein Kunstwerk. Und auch die übrige Spielzeit offenbarte durchaus Reize, die einen Fußballliebhaber in den Bann ziehen können. Denn dieses Europa-League-Spiel war ein reiner Abnutzungskampf quer über das gesamte Feld. Hohes Niveau, unzählige Zweikämpfe, hart, krachend, aber immer fair. „Ich habe selten gegen eine Mannschaft gespielt, die so intensiv auftritt“, urteilte Eintracht-Kapitän Kevin Trapp voller Hochachtung. Trainer Dino Toppmöller umschrieb die Prager Spielweise sehr treffend in einem Wort: „Männerfußball.“

Und doch hielt sein Team ebenso standhaft dagegen, gewann sogar mehr Zweikämpfe, „wir können auch Männerfußball“, sagte Toppmöller anderntags trocken. Das ist eine weitere Facette im Eintracht-Spiel, sie kann nicht nur in rauschendem Tempo umschalten oder durch ihre Ausnahmestürmer den Gegner zur Verzweiflung bringen, sondern auch einen ehrlichen Fight abliefern. „Wir haben eine Verteidigungsmentalität entwickelt“, betont Sportvorstand Markus Krösche. „Das ist wichtig, denn wir können ja nicht immer vier, fünf Tore schießen.“ Manchmal reicht auch ein Treffer, erneut erzielt durch einen ruhenden Ball. In der Vorsaison noch waren die Standards die große Schwachstelle. Jetzt hat Omar Marmoush mit seinem Zauberfuß den zweiten Freistoß nacheinander verwandelt. Der hätte nicht unbedingt reingehen müssen, findet Slavia-Trainer Jindrich Trpisovsky. Zumindest dann nicht, „wenn wir zwei Torhüter im Tor gehabt hätten.“ Vielleicht auch drei. So aber: keine Chance.

So nutzte dem tschechischen Tabellenführer auch die optische Überlegenheit nichts, und auch nicht die Flanken, 26 an der Zahl, die Eintracht-Verteidigung räumte alles weg. Und als dann doch mal einer frei war, kurz vor Schluss, war Torwart Kevin Trapp da und vereitelte die Großchance von Matej Jurasek mit großartiger Fußabwehr. „Überragend“, lobte Abwehrchef Robin Koch.

Vorsaison mit Lerneffekt

Nach vier internationalen Partien hat die Eintracht nun zehn Punkte zusammengetragen und für eine Bestmarke gesorgt. Sie hat es geschafft, in 17 Europa-League-Spielen hintereinander mindestens ein Tor zu schießen. Das ist keiner deutschen Mannschaft zuvor gelungen. Der Einzug in die Zwischenrunde steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, doch das erklärte Ziel ist die direkte Qualifikation fürs Achtelfinale, wofür die Frankfurter unter die ersten Acht kommen müssten; zurzeit liegen sie im 36er-Feld auf Platz vier. Und: Sie stehen in der dritten Runde des Pokals, in der Bundesliga grüßen sie von Rang drei. Es gab Momentaufnahmen, die weniger erquicklich waren.

Die Stärke des Teams ist erstaunlich, keiner fällt ab, Trainer Toppmöller kann nach Herzenslust rotieren – enttäuscht wird er selten. Nur ein Beispiel ist der junge Nnamdi Collins, der lange auf seine Chance warten musste. Als seine Stunde schlug, war er voll da. „Nnamdi ist eine kleine Maschine“, sagt Toppmöller anerkennend. Wenn der 20-Jährige so weiterspielt, wird er sehr bald auf der Liste von Bundestrainer Julian Nagelsmann auftauchen. Die DFB-Späher haben schon ein Auge auf ihn geworfen. Am Freitag ist er bereits erstmals für die deutsche U21 nominiert worden.

Die Mannschaft wirkt in sich geschlossen, wie eine große Familie – wozu natürlich auch die Erfolge beitragen. „Wir sind als Gruppe viel stärker als letztes Jahr“, sagt Hugo Larsson.

Dino Toppmöller ist der, der das Ganze gekonnt moderiert und orchestriert. Die Mannschaft vertraut ihm, weil seine Maßnahmen und Entscheidungen verfangen. „Es geht um Entwicklung, und wir entwickeln uns prächtig“, sagt der 43-Jährige und schiebt einen Satz nach, der beiläufig klingt, aber fast schon eine bedrohliche Wirkung entfalten kann: „Wir sind erst am Anfang.“ Man möchte sich ja gar nicht ausmalen, wo es enden soll.

Stuttgart als Vorbild? Nein!

Auch die schwierige Vorsaison spiele in den Prozess hinein, glaubt Toppmöller, die Spieler hätten sich an die Englischen Wochen und das hohe Pensum gewöhnen können, auch ist das Team generell zusammengewachsen. Und: „Vorne haben wir Qualität dazu gewonnen.“ Bei aller Aufopferung in der Defensive, bei aller Leidenschaft und Willenskraft – das kongeniale Duo im Angriff macht den Unterschied, es veredelt die Kärrnerarbeit der gesamten Gruppe. Allen voran natürlich Omar Marmoush, dem momentan alles gelingt und der nach 15 Partien bei sagenhaften 22 Scorerpunkten steht (13 Tore, neun Vorlagen). „Omar ist momentan das Maß aller Dinge in der Bundesliga“, bekundet Toppmöller. Marmoush wird im Sommer kaum zu halten sein, aber dafür wird es klingeln in der Kasse. 60 Millionen Euro dürften es mindestens sein. Aber noch ist er da, und das sehr gerne.

Am Sonntag (17.30 Uhr/Dazn) führt es Marmoush und die Kollegen nach Stuttgart zum VfB, der in der vergangenen Saison die Bundesliga verzückte und am Ende als Vizemeister abschloss. Ein Vorbild für die Eintracht? „Ein Vorbild? Stuttgart?“, fragte Hugo Larsson entgeistert zurück und lachte: „Keine Chance.“ Da will jemand seine eigene Geschichte schreiben. „Wir fahren natürlich dahin, um drei Punkte mitzunehmen.“ Es klang nicht nach der üblichen Parole, sondern nach einem neuen Selbstverständnis.