Eintracht-Kolumne Stillleben: Noch mal mit Gefühl
Der Herbst 2024 ist mal wieder ein Herbst, der es uns nahelegt, einfach mal innezuhalten, einander an den Händen zu fassen und zu fragen: Ist das nicht wunderschön, diese bunten Blätter, der Sonnenaufgang im knackigen Frost, die … äh, was wollte ich? Ach so, ja: Europacup. Gegen Slavia Prag. An diesem Donnerstag. Und die Frankfurter Eintracht. Wie sie zaubert!
Wir sprachen ja schon darüber, wie witzig das war: dezente Untergangsstimmung nach schwierigen Momenten gegen Riga und in Berlin. Zwei Törchen in 100 Minuten geschossen, mit Glück nicht verloren. Dann fallen auch noch zwei wichtige Verteidiger aus, einer verletzt, der andere gesperrt. Und was macht die Eintracht? Ringt erst zu zehnt die Gladbacher im Pokal nieder wie die berühmte Ameise auf dem Elefanten („Würg ihn, Egon!“) und fiedelt dann mit einer Art Kinderfreizeitbesetzung die bedauernswerten Kellerkinder aus Bochum ab. Obwohl die Tabellenletzte sind. Das ist nicht normal für die Diva.
Mit meinem Opa Alfred, oben im Himmel, der jetzt um die hundert Jahre alt wäre, habe ich mal wieder einen Plausch gehalten. Drei Mark die Eintrittskarte damals für mich Pimpf, als wir samstags in Block K oder L standen, der Opa und ich. Männer mit Mänteln und Hüten vor uns, Kantersiege gegen Rot-Weiß Essen oder Werder Bremen auf dem Rasen, Werbung aus dem Lautsprecher und auf einer Anzeigetafel, die wie ein Feld aus Dominosteinen wirkte: „Eisenbach, Leut‘ von Fach, alles unter einem Dach!“
Warum tun wir uns das immer noch an, Opa Alfred, habe ich ihn gefragt. Warum jedes Jahr wieder? Extrem gestiegene Ticketpreise, die Anfahrt ins Stadion ein Horror. Gar kein Vergleich zu der Schlammschlacht auf dem Parkplatz Gleisdreieck 1974. Das war auch blöd damals, schwierig, rechtzeitig zur Sportschau zurück bei der Oma zu sein. Aber das war ein Verkehrschaos von vielleicht 15 000, lass es mal 20 000 Leuten gewesen sein, die zur Eintracht gingen, wenn nicht gerade die Bayern kamen. Ein Witz gegen den Ansturm von heute.
Dann dieser Fernsehwahnsinn. Opa, ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Sender und Streamingdienste ich abonnieren muss, um die Spiele der Eintracht zu sehen. Wie? Damals gab es nur alle Jubeljahre mal ein Spiel der Adlerträger im Fernsehen zu sehen? Auch wieder wahr.
Wieso also das Ganze? Und wieso wollen es so viele erleben? 144 000 Mitglieder hat die Eintracht inzwischen, der Grund liegt auf der Hand: Als Mitglied hast du wenigstens gelegentlich eine Chance auf eine Tages-Eintrittskarte, die immer noch fast so rar ist wie die Blaue Mauritius, auch wenn sie das Stadion um ein paar Tausend Plätze größer gemacht haben.
Na, warum? Na klar: Weil die Emotionen nach einem Tor wie diesem 3:3 von Omar Marmoush gegen die Bayern nach wie vor mit nichts zu vergleichen sind. Oder nach dem Hinti-Tor gegen Real Betis Sevilla in der 121. Minute. Nach dem Elfer von Rafa Borré im Finale. Oder eben nach dem abendlichen Kraftakt gegen Gladbach im DFB-Pokal. Natürlich gibt es viel wichtigere und größere Gefühle im Leben. Keine Frage. Aber dieses kollektive Glück, wenn du dir gefühlt mit 55 000 Menschen in den Armen liegst, weil der Klub, den du so oft verflucht und dann wieder heiliggesprochen hast, weil diese alle zwei Jahre praktisch komplett ausgetauschte Truppe junger Millionäre wieder mal etwas Unmögliches möglich gemacht hat: einzigartig.
Ah ja, genau, das war’s. Danke für die Erinnerung, Opa Alfred. An diesem Donnerstag spielen wir übrigens gegen Slavia Prag. Dazu fällt mir nicht viel ein, nur: schon wieder Tschechen. Und der Unhaltbar-Ergebnistipp natürlich. Eintracht: zwei – Prag: nuuull. Und bitte diesmal bis zum Schluss konzentriert und nüchtern bleiben. Nicht so wie gegen die Pilsener.
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