Es flutscht bei der Eintracht – egal, wer spielt
Draußen im Stadion stimmten die Fans den Eintracht-Frankfurt-Walzer an, lauthals besangen sie den kommenden deutschen Meister, der nur aus Frankfurt kommen könne. Und drinnen im Untergeschoss des Fußballtempels im Stadtwald wurde der Sportchef Markus Krösche dann tatsächlich gefragt, ob diese Mannschaft das Zeug habe, um den ersten nationalen Titel nach 1959 an den Main zu holen. Der 44-Jährige schaute ausdruckslos und antwortete die Frage ignorierend: „Wir haben ein wichtiges Spiel gewonnen, mehr nicht.“ Noch Fragen? Nein! Abgang.
Ja, so schnell geht es in Frankfurt, dort, wo sich der Wind doch ziemlich schnell drehen kann. Nicht mal eine Woche ist es her, da fragten einige Beobachter im vollen Ernst, ob die Eintracht in eine Krise rutschen werde und die Stimmung kippen könne. Schließlich holten die Hessen nach dem ergurkten 1:0 zu Hause gegen Riga nur einen glücklichen Punkt bei Union Berlin – so geht das natürlich nicht. Und jetzt, ein in Unterzahl grandios erkämpftes 2:1 im Pokal gegen Gladbach und ein 7:2-Feuerwerk gegen Schlusslicht Bochum später, wird von der Meisterschaft schwadroniert. Verrückte Welt.
Marmoush schießt sich in die Bestenlisten
Fraglos aber ist, dass die Frankfurter aktuell nicht nur in bestechender Form sind, sondern auch sonst so ziemlich alles passt, was passen soll. Die Gala gegen das Schlusslicht aus Bochum war nicht nur spektakulär, sondern zeitweise atemberaubend. Das schlägt sich auch in nackten Zahlen nieder: Die Eintracht hat nach neun Spieltagen 23 Tore erzielt (nur die Bayern haben mehr geschossen) – so viele wie zuletzt vor mehr als drei Jahrzehnten. Trainer damals: Klaus Toppmöller, Trainer heute: Sohn Dino. Seinerzeit spielten noch Uwe Bein, Maurizio Gaudino und Tony Yeboah. Der ist jetzt einen Rekord los, Omar Marmoush – wer sonst? – hat ihn genommen, denn nie zuvor in der Geschichte hatte ein Eintracht-Spieler nach neun Partien zehn Tore auf dem Konto. Marmoush, zum Zweiten, hat sich mit seinen 16 Torbeteiligungen auch weit nach oben in der ewigen Scorerwertung geballert, nur Harry Kane konnte in der vergangenen Saison noch mehr vorweisen.
Trainer Toppmöller hat es geschafft, ein schwer zu schlagendes und furios nach vorne spielendes Ensemble zu erschaffen, fast alle seiner Entscheidungen verfangen. Zurzeit ist es beinahe egal, wen er aufstellt – die Mannschaft funktioniert. Der Chefcoach hat nicht nur den Mut, zu rotieren, er spürt auch, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um Spieler ins kalte Wasser zu werfen und wiederum andere zu schonen. „Jeder hat viel gespielt in den letzten Wochen, jeder haut sich rein, keiner ist beleidigt, wenn er mal nicht spielt“, sagt Ansgar Knauff. „Das müssen wir am Leben halten, das macht uns stark.“
Gegen Bochum etwa stellte Dino Toppmöller im Mittelfeld nicht nur überraschend Mo Dahoud auf, sondern auch die jungen und gänzlich unerfahrenen Jean-Matteo Bahoya, Nathaniel Brown und Nnamdi Collins. Das sorgte im Vorfeld schon für Verwunderung, es sind sogar SMS von erfahrenen Experten im Umlauf, die die Sinnhaftigkeit der Aufstellung infrage stellten: „Fünf Neue gegenüber dem Pokalspiel, Brown und Bahoya auf einer Seite – was soll das?“ Und auch: „Jetzt hat er die A-Jugend plus zwei Stürmer gestellt. Absurd so was.“ Oder auch nicht. Hat der gute Mann nach einer halben Stunde Spielzeit auch gemerkt: „Ich verstumme errötend.“
Es spricht nicht nur für das Talent der Spieler, dass sie sich nahtlos einfügen, sondern auch für eine andere Tiefe im Kader. Toppmöller hat bisher 24 Akteuren Einsatzzeit geschenkt, nur die TSG Hoffenheim kommt auf 25 Spieler. Auch die „tolle Entwicklung der jungen Spieler“ (Toppmöller) trägt zum Erfolg bei. „Sie sind total belebend für den Konkurrenzkampf, sie erhöhen ihn massiv.“
Selbst der alte Haudegen Chandler darf mitspielen
Am Samstag durfte auch der frenetisch gefeierte Timothy Chandler sein Saisondebüt feiern. Das ist eine schöne Belohnung für den alten Haudegen und Integrationsbeauftragten, von dem Kollege Nathaniel Brown schwärmt: „Er ist der Vater der Mannschaft. Immer, wenn wir was haben, können wir zu ihm kommen.“ Enorm wichtig, solch ein Kümmerer. Wiewohl der Geist im Team ohnehin ein besonderer zu sein scheint. „Die Jungs sind gerne zusammen und haben Bock, für Eintracht Frankfurt zu spielen“, bemerkt Sportboss Krösche.
All das sind Indizien für die rasante Entwicklung in dieser Saison. Trainer Toppmöller hat das Spiel reformiert, den Stil modifiziert, ihn nach den Stärken seines Ensembles ausgerichtet. Ein besonderes Merkmal ist das Tempo, das Überfallartige, aber auch die spielerische Klasse. Die Tore gegen Bochum (zweimal Ekitiké, Marmoush, Knauff, Brown, Uzun, Dahoud) waren allesamt sehenswert, teilweise brillant herausgespielt.
Sind dieser Mannschaft also tatsächlich keine Grenzen gesetzt? Das wäre eine sicher verwegene These, zumal ihr gegen die Bayern (trotz des 3:3-Remis‘) sehr wohl Grenzen gesetzt wurden. Aber die Richtung stimmt, die Art und Weise des Fußballs stimmt, die Resultate stimmen – ein Champions-League-Platz nach neun Begegnungen und Rang sechs in der Europa-League-Tabelle sowie das Pokal-Achtelfinale sind der verdiente Lohn. „Wir wollen uns oben festbeißen“, sagt Toppmöller, der erst mal zwei Tage zum Durchschnaufen freigegeben hat. „Die Jungs“, lautet sein klarer Befehl, „sollen den Moment mal genießen.“ Am Donnerstag geht es dann schon weiter, dieses Mal in der Europa League gegen die erstaunlich starken Tschechen von Slavia Prag.
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