Niklas Theisen
Medizin wird in Neuenberg statt Riga gepaukt
Niklas Theisen berichtet über seine Zeit in Lettland
"Lettland hat eine andere Linie als Deutschland gefahren und nach den ersten Corona-Fällen schnell die Grenzen geschlossen. Deshalb bin ich direkt nach Hause geflogen", berichtet Theisen, der seit 2017 in Riga beheimatet ist. Über seinen Kumpel Tobias Hölscher, der den Tennisfreunden in Fulda ein Begriff sein dürfte, wuchs die Idee, das Studium der Humanmedizin in Lettland anzutreten. "Unglaublich viele Deutsche studieren in Osteuropa, auch in Riga gibt es eine riesige deutsche Community. Entsprechend habe ich viele deutsche Freunde gefunden."
Generell haben Deutschland und Lettland mehr gemein, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Bereits im 13. Jahrhundert wurde das Land aus dem Baltikum vom Deutschen Orden besetzt. Im vergangenen Jahrhundert musste Lettland unter Herrschaft der Sowjetunion bis zum Mauerfall um seine Unabhängigkeit kämpfen. Noch heute stammen mehr als ein Viertel der Bevölkerung ursprünglich aus Russland, wenngleich die Regierung nicht erst seit der Aufnahme in die Europäische Union 2004 einen westlichen Kurs fährt.
Lettisch bereitet wenig Probleme
In den lettischen Krankenhäusern ist Niklas Theisen (Mitte) aufgrund von Corona derzeit nicht unterwegs. Foto: privat
"Außerhalb von Riga herrscht teilweise noch große Armut, der Mindestlohn ist sehr gering. Deswegen sind viele ältere Menschen sehr zielstrebig und haben wenig Witz. Ältere Frauen sehen es nicht so gerne, wenn ihnen ein Mann die Tür aufhält", sagt Theisen, der aber mit vielen jüngeren, offeneren Letten einen guten Kontakt pflegt und deshalb "sehr glücklich" ist. Mindestens drei Jahre lang bleibt Riga noch die Heimat des 22-Jährigen, weitere sechs Regelsemester sind vorgesehen.
Studiert wird übrigens komplett auf englisch ("Da ich in der Schule den Englisch-Leistungskurs belegt habe und nach dem Abi eine Weile in der USA war, ist das kein Problem"), wenngleich Theisen auch die lettische Sprache beherrschen muss. "Ich habe viele Kurse belegt. Lettisch geht eher in die skandinavische Richtung und ist nicht so kompliziert, es gibt zum Beispiel nur Präsens, Vergangenheit und Zukunft. Und im Austausch mit den Patienten in der Klinik versteht man sich dann sehr schnell, wobei ich wohl größere Probleme hätte, über Politik zu sprechen."
Probetraining beim Meister
Dafür klappt auch die Kommunikation beim Fußball bestens. Nachdem der zentrale Mittelfeldspieler zunächst in der Universitäts-Mannschaft spielte, hat er nun seit einiger Zeit mit dem Riga United FC einen neuen Club gefunden, der in der dritthöchsten Liga des Landes beheimatet ist. "Wir sind ein noch recht junger Multikulti-Club, der viele Nationalitäten vereint. Neben vielen europäischen Mitspielern gibt es auch Leute aus Kanada, Indien oder Bali. Wir stehen meistens auf dem ersten Platz, haben aber ein großes Problem: In der Hauptphase der Saison im Sommer sind viele Spieler – wir sind zum Großteil Studenten – in ihren Heimatländern, weshalb wir in dieser Zeit häufig in der Tabelle abrutschen", erklärt Theisen.
Auch deshalb hat sich der Medizinstudent, der nach harten ersten beiden Studienjahren nun etwas mehr Freizeit hat, überlegt, im Sommer den Schritt in die Zweitklassigkeit zu wagen, die kurioserweise Erste Liga heißt. Das Niveau hätte der 22-Jährige allemal für Höheres. Schon vor einiger Zeit absolvierte Theisen ein Probetraining beim derzeitigen lettischen Meister Riga FC. "Das Niveau, das sich so im mittleren Regionalliga-Niveau befindet, hätte sicherlich gut gepasst. Aber Profifußball mit sechs bis zehn Mal die Woche Training war neben dem Studium nicht zu stemmen."
"Schiedsrichter treiben mich manchmal zur Weißglut"
Bereits in seiner Jugendzeit in Deutschland galt der gebürtige Würzburger, der als Kind in Marburg lebte und 2007 mit seiner Familie in Fulda heimisch wurde, als großes Talent, spielte in der Regional- und Hessenauswahl und war zu diversen Nationalmannschaftslehrgängen eingeladen. Unvergessen ist unter anderem der Doppelpack im B-Junioren-Aufstiegsspiel zur Hessenliga, der dem JFV Viktoria Fulda in Baunatal den Wiederaufstieg bescherte. Bereits als 15-Jähriger nahm der Spielmacher, der inzwischen etwas defensiver auf der Sechs eingesetzt wird, mit dem TSV Lehnerz bei einem Trainingscamp in Leipzig teil. Später spielte er zudem für eine kurze Zeit bei den Senioren der SG Johannesberg.
Grundsätzlich unterscheiden sich der Fußball in Lettland und in Deutschland aber in vielen Punkten. "Das Spiel dort ist unglaublich körperlich, die Schiedsrichter lassen fast alles durchlaufen. Da kommt die russische Mentalität durch. Das treibt mich manchmal schon zur Weißglut. Wir haben nämlich richtig gute Techniker aus Italien oder Spanien, unter anderem einen spanischen Futsal-Nationalspieler, die dann einfach umgetreten werden."
Lob für die lettische Corona-Bekämpfung
Wann Theisen wieder nach Lettland zurückkehren wird, hängt komplett in der Schwebe. "Das Gute ist, dass meine Uni alles hervorragend organisiert. In Achter- bis Zehnergruppen bekommen wir Powerpoint-Präsentationen vorgestellt, auch die Überprüfungen geschehen alle online. Dadurch verliere ich keine Zeit", freut sich der 22-Jährige, der die Zeit daheim bei der Familie genießt. "Ich bin das erste Mal seit ein paar Jahren wieder länger zuhause, entsprechend verbringen wir viel Zeit zusammen."
Die strikten Vorgaben Lettlands mit den schnellen Grenzschließungen und der sofortigen Aussetzung des Fußballs befürwortet der Medizinstudent derweil: "Ich habe es jedenfalls nicht nachvollziehen können, dass in Deutschland so lange gewartet wurde. Hier muss erst etwas passieren, bevor drastische Maßnahmen ergriffen werden."
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