Norbert Nachtweih und ein karges Zimmer am Riederwald

15. Oktober 2024, 15:25 Uhr

Elegant und kämpferisch: Norbert Nachtweih, damals im Eintrachttrikot. © imago/WEREK

Die deutsch-deutsche Fußballgeschichte des DDR-Flüchtlings und ehemaligen Eintracht-Profis Norbert Nachtweih.

Norbert Nachtweih ist im Rhein-Main-Gebiet heimisch geworden, in Liederbach am Taunus. Und doch fühlt sich der inzwischen 67-jährige ehemalige Fußballprofi von Eintracht Frankfurt und Bayern München fast 50 Jahre nach seiner Flucht aus der ehemaligen DDR weiterhin als Ostdeutscher. Ein Westdeutscher sei er nie geworden, sagt er.

Es finden sich in der Biografie „Zwischen zwei Welten“ viele tiefe Einblicke in das Leben des Mittelfeldspielers, der am 16. November 1976 gemeinsam mit Torhüter Jürgen Pahl die erste Republikflucht von DDR-Profifußballern in den Westen wagte. Aufgeschrieben hat die gerade für Fans der Frankfurter Eintracht oft lesenswerten Geschichten des gebürtigen Sachsen-Anhalters der Leipziger Journalist Mathias Liebing.

Nachtweih berichtet, wie er es mit Pahl aus dem Zentralen Notaufnahmelager in Gießen dank der Vermittlung des FDP-Politikers und Eintracht-Verwaltungsratsmitglied Wolfgang Mischnick nach Frankfurt auf den Trainingsplatz der Eintracht am Riederwald schaffte, „Hans-Dieter Tippenhauer, der damals Co-Trainer bei der Eintracht war, hat Jürgen und mich in Gießen abgeholt. Mit seinem Kleinwagen hat er uns zum Hotel Klein in Bergen-Enkheim gebracht, Gleich am ersten Abend durften wir bei der zweiten Mannschaft mittrainieren – am Riederwald, auf dem damaligen Hartplatz.“

Nachtweih und Pahl wurden bald befördert: „Ein Training mit Grabowski, Nickel, Hölzenbein, Neuberger und Körbel. Meine Fresse, das waren Stars, die wir nur aus dem Fernsehen kannten.“ Dazu die neue Stadt: „Die Bars, die Kneipen und das Rotlichtviertel. Es war eine fremde Welt. Eine aufregende Welt. Eine Welt, die vollkommen anders war als das, was wir bis dahin kannten.“

2000 D-Mark bekamen Pahl und Nachtweih pro Monat. Dazu ein Zimmer am Riederwald, „da standen nur zwei Betten und ein Tisch. Der Schrank für die Klamotten war im Flur. Ein Radio oder gar einen Fernseher gab es nicht.“ Vergangene Zeiten der Fußballromantik.

Zur Europapokalsaison 1979/80 konnte Nachtweih beim Spiel in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei keine vier Jahre nach der Flucht seine Familie erstmals wiedersehen. „Großartig war, dass die Eintracht alles organisiert hatte. Ohne eine einzige Nachfrage wurden für meine Familie Zimmer gebucht und bezahlt, sie durften sogar mit uns am Mannschaftstisch essen.“

Nachtweihs Familie fuhr mit reichlich Westgeld zurück in die DDR. „Unser Zeugwart Toni Hübler hatte die ganzen Scheine in unseren Fußballschuhen versteckt. Für uns war Toni viel wichtiger als irgendein Präsident oder Vorstandsmitglied.“

Anfang 2023 beginnt Norbert Nachtweih mit der Lektüre von 875 Seiten seiner Stasiakte. „Im Prinzip habe ich mir mein ganzes Leben lang keine Gedanken über mein Leben gemacht. Den Blick zurück habe ich immer vermieden. Jetzt liegt ein wichtiger Teil meines Lebens auf dem Boden meines Wohnzimmers.“

Das Buch erzählt, was Nachtweih in den Unterlagen findet, etwa den Einbruch der Stasi in seine Wohnung. jcm

Kommentieren