Opa Mario Götze schlägt zu

24. November 2024, 14:16 Uhr

Schießt präzise den Ball ins Tor: Mario Götze beim 1:0 in seinem 100. Pflichtspiel für die Eintracht. © IMAGO/HMB-Media

Weltmeister Mario Götze macht als Siegtorschütze beim 1:0 gegen Werder Bremen den Unterschied aus - und seine jungen Mitspieler besser.

The Players‘ Tribune ist eine Online-Plattform, 2014 gegründet, die zeitgenössischen Athleten die Gelegenheit gibt, ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen, selbst und in eigenen Worten: „I’ve Got a Story to Tell“ ist das Motto, und darunter verfassten herausragende Sportler, etwa Brasilien-Star Adriano, der über seine Favela und Trinksucht schrieb, Manuel Neuer („Auf Wiedersehen, Deutschland“), Basketball-Promi Peja Stojakovic, Baseball-Ikone Zac Gallen, bewegende, ergreifende Texte, zu Themen, die ans Herz gehen, zuweilen zutiefst privat. Mario Götze gehört zu diesem erlesenen Kreis, er schrieb einen langen Brief an seine Kinder, in dem er sie (und die Öffentlichkeit) an seinen Ängsten und Gefühlen angesichts der komplizierten Geburt seines ältesten Sohnes teilnehmen ließ. Und auch ein wenig, wie es war damals 2014, als er dieses eine Tor schoss, das Deutschland zum Weltmeister machte und ihm zur fast unmenschlichen Bürde wurde.

Tore schießt Mario Götze immer noch, seltener zwar, aber jetzt, mehr als zehn Jahre später, hat er eines geschossen, ein wunderschön herauskombiniertes, „top-top gespielt“, wie Trainer Dino Toppmöller später mit der Zunge schnalzte, es sollte Eintracht Frankfurt den Sieg und Tabellenplatz zwei bringen. Es war ein Tor auf Bestellung, sein Coach hatte es augenzwingernd von ihm gefordert, weil Götze schon in seinem 300. Bundesligaspiel vor Wochen getroffen hatte, und am Samstag sein 100. für die Eintracht anstand. Also lieferte Götze, so machen das die Großen.

Das ist ein anderer Mario Götze als der von Maracana, er ist längst kein Glamourboy mehr, kein Dribbler, kein Dominator, dafür ein Stratege, ein Raumdeuter, der dank Spielintelligenz und Antizipation mittlerweile die anderen besser aussehen lässt. Mario Götze ist im besten Sinne gereift, auch dank seiner Vaterrolle (und seinen überwundenen Tiefen), wie er schrieb, er lässt andere im hellen Licht erstrahlen. Er weiß ja, wie das Spiel bis in die letzten Verästelungen funktioniert, gegen Werder Bremen gelangen ihm 23 Pässe ins letzte Drittel, ein beeindruckender Wert. Er spielt im Team der jungen Frechdachse erwachsen, seriös, präzise. „Ich bin ja gefühlt der Opa hier“, hat er, 32-jährig, am Samstagabend schelmisch grinsend vor TV-Kameras gesagt.

Meister der kleinen Dinge

Mario Götze ist der Meister der kleinen, feinen Dinge, Dinge, die kaum auffallen, aber eminent wichtig sind, er verliert so gut wie keinen Ball, ihm kann man in Drucksituationen ruhigen Gewissens die Kugel geben, bei ihm ist sie sicher. „Mario tut uns gut“, sagt Ansgar Knauff, „er gibt uns Halt“, ergänzt Verteidiger Nnamdi Collins, der in den Kindergarten kam, als Mario Götze seine steile Karriere bei Borussia Dortmund begann. Nicht nur er schaut manchmal noch ehrfürchtig zu Mario Götze auf. „Wir Jungen können uns viel abschauen.“ Etwa wie man richtig und klug steht: Götze war im ganzen Spiel einmal zentral im Strafraum, eben in dieser 45. Minute, um Hugo Ekitikés kleinen Geniestreich zum 1:0 zu veredeln. Es war ohnehin, auch das erstaunlich, erst sein dritter Torschuss in der Saison - dafür hat die Ausbeute von zwei Toren nahezu marmoushartige Dimensionen.

Götze setzt seine Duftmarken wohl dosiert ein, ohnehin muss er in den temporeicher werdenden Partien, bei immer schnelleren Mit- und Gegenspielern, mit seinen Kräften haushalten, muss schlauer spielen als jene, die zwar flinker laufen können, aber weniger Gefühl im Fuß haben. Mario Götze hat sich eine bemerkenswerte Vielseitigkeit erarbeitet, sogar auf dem rechten Flügel brilliert er wie am Samstag gegen Werder, seinen Lieblingsgegner (schon acht Treffer), oder auf der Sechs (wie in der zweiten Halbzeit gegen den VfB Stuttgart, als er erstaunlich viele defensive Zweikämpfe gewann), am wertvollsten ist er natürlich hinter den Spitzen, er sieht freie Räume, die andere nicht sehen, und: Er kann den Ball präzise dort hin spielen.

Die Rolle des fußballspielenden Elder Statesman hat Mario Götze in Frankfurt („für mich ein besonderer Ort“) längst für sich entdeckt. Er versuche, schrieb er, den Jungen auf und neben dem Platz „Orientierung zu geben“, ihnen beizustehen, etwa wenn der Wind rauer weht.

Tut er im Moment gerade ganz und gar nicht, aber auch jetzt, im Frankfurter Höhenflug, mahnt Götze Augenmaß an, spricht realistisch von „Momentaufnahme“, verweist auf die engen Spiele zuletzt gegen Stuttgart oder Union Berlin, als Zentimeterentscheidungen zugunsten der Frankfurter zum Happyend beitrugen. „Wir wissen, wie knapp das auch heute war.“ Bayern-Jäger, Champions League, gar Meisterschaft - Schlagworte alles, die dem klugen Kopf allenfalls ein müdes Lächeln abringen. „Das ist noch ein sehr weiter Weg.“ Götze aber ist bereit, ihn zu gehen.

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