Stöger in Gladbach: Plötzlich ein Luxusproblem

29. Oktober 2024, 12:02 Uhr

Mit Übersicht: Kevin Stöger. © IMAGO/Nordphoto

Stratege Kevin Stöger überzeugt sofort bei Borussia Mönchengladbach. Und doch ist erst einmal außen vor.

Kevin Stöger musste 30 Jahre alt werden und bald 300 Pflichtspiele in erster, zweiter, dritter Liga auf dem Buckel haben, um sein „geilstes und schönstes Spiel“ zu erleben, vielleicht auch sein bestes. Es liegt nicht lange zurück, 27. Mai dieses Jahres, Düsseldorf, Relegation um den Klassenerhalt in der Bundesliga. Da war dem VfL Bochum mit Kevin Stöger eine der größten Sensationen der jüngeren deutschen Fußballhistorie gelungen, ein zu Hause 0:3 verlorenes Spiel im Rückspiel noch umzubiegen: 3:0 nach 90 Minuten und Verlängerung, das Elfmeterschießen musste entscheiden. Überragender Mann: Kevin Stöger, der die ersten beiden Treffer meisterhaft vorbereitet hatte, den dritten selbst erzielte und auch im Shootout traf. „Auf dieses Spiel werde ich noch jahrelang zurückblicken“, sagte er im Sommer der vereinseigenen Homepage „Fohlen-hautnah“.

Nach der wundersamen Bochumer Rettung wechselte Stöger zu Borussia Mönchengladbach, er wechselt fast im Zweijahres-Rhythmus, wenn sein Kontrakt ausgelaufen ist, eine Ablösesumme ist in seiner Karriere nur ein einziges Mal fällig geworden, 2015, als er vom VfB Stuttgart für eine Million Euro zum SC Paderborn ging. „Ich bin ein Mensch, der kann sich verändern“, sagt der Vater einer kleinen Tochter. Gladbach war dann noch mal eine andere Hausnummer als etwa der VfL Bochum oder Mainz 05, wo er von 2020 bis 2022 spielte, aber kaum Spuren hinterlassen konnte.

Und dieser ewige Abstiegskampf zehrt halt auch an den Nerven.

Der Wechsel an den Niederrhein hat sich bislang ausgezahlt, für den Österreicher, für den Klub. Stöger erhielt unlängst erstmals eine Einladung für die Nationalelf unter Ralf Rangnick. Und Borussia Mönchengladbach, deren sportlicher Trend seit Jahren nach unten zeigt, die mit unglücklichen Personalentscheidungen, etwa die ablösefreien Abgänge von Marcus Thuram, Ramy Bensebaini, Matthias Ginter auffielen, und einem hohen Trainerverschleiß (vier Trainer in vier Jahren), fahndete nach Mentalität und Führung auf dem Rasen. Seit dem (gesundheitlichen) Aus des damaligen Managers Max Eberl im Januar 2022 geht es kontinuierlich bergab, noch im Sommer 2021 verließ Trainer Adi Hütter die Frankfurter der besseren Perspektive wegen in Richtung Bökelberg. Welch ein Irrtum!

Mit links und Mentalität

Jetzt hat die Borussia in Tim Kleindienst und Kevin Stöger die Persönlichkeiten gefunden, die fehlten. Er sei gewillt, Verantwortung zu übernehmen, sagt Stöger, davor habe er keine Angst, selbst wenn es mal nicht rund läuft. Dazu hat der mittlerweile 31-Jährige einen feinen linken Fuß, er weiß seine Mitspieler in Szene zu setzen, verliert selten den Ball, bringt eine andere spielerische Note ins zuletzt behäbige Gladbacher Spiel. Dazu sind seine Standards ligaweit gefürchtet, erst am letzten Freitag hätte sein Freistoß den Fohlen am Ende beinahe noch den Sieg in Mainz gebracht. Diese strategischen Fähigkeiten hat auch Eintracht Frankfurt, heute Abend Gegner im Pokal, dazu bewogen, mit einem halben Auge nach dem gebürtigen Steyrer zu schielen. Einen wie ihn, der auf der Zehnerposition Strippen zieht, hätten sie bei den Hessen gut gebrauchen können.

Ironischerweise hat Stöger, obwohl in Bestform und schon mit drei Vorlagen dabei, seit zwei Spielen seinen Stammplatz in Gladbach eingebüßt. Trainer Gerardo Seoane, nach dem enttäuschenden Abschneiden der letzten Saison mit Platz 14 (34 Punkten) arg unter Zugzwang, hat das taktische System ein wenig modifiziert. Und dieser Umbaumaßnahme fiel Stöger zum Opfer. Die Fohlen agieren nun mit nur einem Kreativen, Alassane Plea, um den beiden schnellen Außen Robin Hack und Franck Honorat den nötigen Raum zu geben. Und Plea überzeugte bislang. In den letzten beiden Spielen gegen Heidenheim (3:2) und Mainz (1:1) kam Stöger jeweils von der Bank.

Aber rund um den Borussen-Park sind sie natürlich froh über dieses Luxusproblem. Den vielzitierten „Borussen-Weg“ der Konsolidierung, bei der erfahrene Recken (Kleindienst, Stöger, Itakura, Weigl, Elvedi) den aufstrebenden Talenten (Reitz, Netz, Scully) Rückdeckung geben, haben sie eingeschlagen und noch nicht verlassen, Tabellenplatz zehn ist halbwegs akzeptabel, die Wogen nach der Demission um Sportdirektor Nils Schmadtke geglättet. Das ganze Gebilde wirkt stabiler und widerstandsfähiger als zuletzt. Und sie hatten schon deutlich brenzligere Situation zu überstehen gehabt – vor Kevin Stöger.

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